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Die deutsche Frauendichtung beginnt, nachdem sie seit Mechtild v. Magdeburg jahrhundertelang den Dornröschenschlaf geschlafen, wieder aufzuleben mit der Westfälin Anette v. Droste-Hülshoff (1797–1848), die freilich für den ersten Blick gar nichts Frauliches an sich hat. Ihre Formen sind streng, herb, ihr Gang ist straff, ihre Miene leicht verdüstert: wie ein halb heller Tag auf der westfälischen Heide, wenn Erde und Himmel die Plätze vertauscht haben, und die roten Heidekrautblüten die Sterne, die Wolken wie braune Ackerschollen sind. Auf ihr müdes Haupt gaukelte selten ein süßes Lachen.

Liebe Stimme säuselt und träuft
Wie die Lindenblüt’ auf ein Grab ...

Herb wie ihr lyrischer Stil ist ihr Prosastil in der Novelle „Die Judenbuche“. Marie v. Ebner-Eschenbach (aus Mähren, 1830–1916) besitzt ein Talent von großer Weite der Empfindung, das aber formal eng begrenzt ist. Riccarda Huch (geb. 1864 in Braunschweig) suchte ihre Themen im Risorgimento und im Dreißigjährigen Krieg. Enrica Handel-Mazetti (geb. 1871 in Wien) schrieb historische Romane mit katholisierendem Einschlag. Die deutsche Frauenlyrik der jüngsten Zeit gipfelt in Else Lasker-Schüler (geb. 1876 in Elberfeld).

Wer fühlte sich nicht als ewiger Jude und sänke vor Jehova ins Knie, wenn sie ihre hebräischen Lieder singt? Wenn sie ihre Weise in einen alten Tibetteppich verwebt?


Man hat Frank Wedekind (1864–1918) einen Bruder und Genossen der Lenz, Büchner, Grabbe genannt. Er hatte nicht die selbstverständliche Grazie dieser drei (die Grabbe auch im Grausigen bewies). Er war kein Kind der Natur. Die Natur war ihm in jeglicher Gestalt verhaßt und widerwärtig. Vor einer schönen Landschaft erfaßte ihn ein Brechreiz. Und er wurde erst wieder beruhigt, wenn er die Berge, etwa als ein liebendes Paar in Umarmung, drastisch definieren konnte. Er war ganz gewiß ein

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Klabund: Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde. Leipzig-Gaschwitz: Dürr & Weber, 1920, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Klabund_Deutsche_Literaturgeschichte_in_einer_Stunde_087.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)