Seite:Knortz - Hexen, Teufel und Blocksbergspuk in Geschichte, Sage und Literatur.pdf/127

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Affenschwanz behaftet; diesen schnitt Gott ab und machte daraus die erste Frau, die aber dem ersten Manne nicht sonderlich gefiel, weil sie zu viel schäkerte und hüpfte und ihn zu häufig umschlängelte.

Der talentvolle Romanschriftsteller Wilhelm Jensen schildert in einem seiner Gedichte in schwungvoller und kräftiger Sprache die fabelhafte Lilith als eine Frau von solch’ berückender Schönheit, daß sich Adam vor ihr entsetzte und seinen Schöpfer bat, ihm doch statt einer Göttin oder Königin ein Weib zu bescheren, das ihm gleich sei. Infolge dieser beleidigenden Zurücksetzung verzerrt sich plötzlich das Gesicht Liliths und sie verläßt, indem sie einen schrecklichen Fluch über die zukünftige Menschheit ausspricht, das Paradies.

Nachstehend ein vollständiger Abdruck dieses bemerkenswerten Gedichtes:

Es geht durch die Geschichte der Menschheit
Von Anbeginn uralte Sage
Von eines Weibes Wunderherrlichkeit.
Die hat der Lebenden keiner geschaut
Als einer allein, denn mit dem ersten Manne,
Doch vor der ersten Gattin war sie da.
Sie hieß Lilith. Die wandelnde Sonne,
Als sie zum erstenmal ihre Schönheit
Erblickt, hielt inne, und Sterne brachen
Den Bann des Tags und leuchteten selig
Auf ihre Stirn. Es kamen die Winde,
Das Meer und die Luft und der Blitz, und sie legten
Gefangen sich in Liliths Hand. Da trat
Ihr Fuß beherrschend die Rinde des Erdballs,
Und Blüten umwogten ihr königlich Haupt
In glühenden Farben. Da wehte ihr Atem
Belebenden Hauchs in die Kelche, und Vögel
Erhoben sich schmetternd, buntglänzende Falter,
Aufjauchzende Stimmen durchklangen der Wildnis
Verstricktes Gewirr, denn ihr folgte das Leben.
Und mit den Augen, drin des Weltalls ewiges
Geheimnis lag, sah Lilith auf sie nieder
Und ein zitternder Schauer durchlief die Schöpfung.