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mehrerer Wissenschaften werden nämlich der Leitung eines besonderen Spezialredakteurs, eines hervorragenden Vertreters seines Faches unterstellt und dieser trifft nun die definitive Auswahl der Mitarbeiter, ertheilt ihnen genaue Weisungen und Winke auf Grund eines gemeinsam entworfenen „Programmes“ über die inneren Fragen des Werkes, das nach sorgfältiger Berathung in der Hauptredaktion druckfertig geworden ist. Dieser Spezialredakteur ist natürlich für das übernommene Gebiet der Hauptleitung auch voll verantwortlich. Während die oberste Redaktion ihren Sitz bei dem Verleger hat und die Centralstelle des ganzen Werkes bildet, wohnen die Spezialredaktuere in verschiedenen Universitätsstädten und anderen Mittelpunkten des deutschen Bücherwesens.

Nun erst wandern die Ausschnitte alle wohlgeordnet, aufs genaueste verzeichnet, numerirt und kontrollirt in die Welt hinaus. Unter den Händen eines universell gebildeten Mannes, der Monate lang sich ausschließlich der Arbeit des Ordnens gewidmet hat, haben sie ihre bisherige alphabetische Ordnung mit einer streng wissenschaftlichen vertauscht, so daß z. B. alle naturwissenschaftlichen Artikel, alle Artikel des Gewerbes, der Kunst u. s. w. zusammenliegen; der Umfang des Ganzen und jeder einzelnen Disziplin ist bis ins Kleinste berechnet worden; manche von ihnen ist zu Gunsten einer anderen beschränkt worden und über das ganze Werk in allen seinen Theilen liegen nunmehr die genauesten statistischen Nachweise vor; sie bilden die Grundlage der prinzipiellen Disposition, deren Ausführung jetzt in fremde Hände gelegt wird.

Die Mitarbeiter, welche von den Spezialredakteuren ihre Aufgabe erhalten haben, prüfen zunächst, ob alles unter dem richtigen Stichwort verzeichnet ist, damit nicht eine und dieselbe Persönlichkeit etwa unter dreierlei Namen vorkommt, wie es z. B. irgendwo mit Cousin-Montauban-Palikao der Fall war, erwägen die innere und äußere Gleichmäßigkeit der Artikel, stellen sich die Fortschritte in ihren Wissenschaften zusammen und machen sich dann an die Umarbeitung der alten Artikel. Nur zu oft entdeckt da der betreffende Gelehrte, daß so ziemlich alles veraltet ist und von Grund aus verbessert werden muß; die Vertrauen erweckendste Angabe hat in den letzten Jahren durch die Veröffentlichung eines Augenzeugen oder durch das Ergebnis einer langwierigen Polemik ihre Giltigkeit verloren; eine vor Jahren mit größter Berechtigung ausgesprochene Meinung besteht nicht mehr vor der Kritik, jenes Datum hat sich längst als unrichtig erwiesen oder es stellt sich nach langem Suchen als ein unerklärlicher Druckfehler heraus, der aller Augen entgangen ist. Besondere Schwierigkeiten bereiten gewisse Disziplinen, wie Geschichte und Geographie in den letzten Jahrzehenden. Da sind ganze Königreiche verschwunden und in Provinzen umgewandelt, die Reichsgrenzen verrückt u. dgl. Nun muß in ungezählten Artikeln das Wörtchen: „lombardisch-venetianisch,“ „königlich hannöverisch,“ „kurhessisch“ oder „nassauisch“ gestrichen und alles was dazu gehört, in „italienisch“ oder „preußisch“ umgewandelt werden.

Schließlich ist das Ergebnis des mühsamsten Nachschlagens, Vergleichens und Nachdenkens nur zu oft: eine unscheinbare Zahl und wenige Zeilen. Unter wachsendem Erstaunen über die Unbeständigkeit und Wandelbarkeit seiner Wissenschaft nimmt der gelehrte Mitarbeiter den Stoß der kleinen Aufsätzchen noch einmal zur letzten Revision vor, er revidirt, streicht, stellt wieder her, schreibt neu und geht dann an die Reihe der großen Artikel, von denen er sich eine Erholung verspricht. Aber er hat sich getäuscht, mit dem Maß des Umfangs wächst auch das Maß des Fehlerhaften, Veralteten und der Anstrengung. Dazu kommt die Einhaltung des vorgeschriebenen Raumes; nach sorgfältiger Erledigung aller Vorarbeiten ist ein großer Artikel in Angriff genommen und ausgeführt, es ist ein wahres Kabinetstück von gewissenhafter Vollständigkeit und übersichtlicher Klarheit, aber o weh! er ist unbrauchbar, denn er hat unversehens die vorgeschriebene Länge um das Dreifache überschritten. Was thun? Der Gewissenhafte geht an eine mühsame Kürzung und nochmalige Umarbeitung – die meisten freilich senden ihr Elaborat unverändert an den Spezialredakteur ab, der oft auch nicht den Muth hat, daran etwas zu streichen, sondern es weiter schickt, wie er es erhalten hat. Seine Arbeit ist überhaupt keine ganz leichte. Viele der einlaufenden Artikel entsprechen allerdings den Erwartungen, andere sind mehr oder minder misverstanden und müssen an die Verfasser mit einer wiederholten Darlegung des eigentlichen Zieles zurückgehen, andere erweisen sich als ganz unbrauchbar und es muß ein Ersatz für sie gefunden werden.

Während solchergestalt die Spezialredakteure ihre Einsendungen vorbereiten, arbeiten auch noch manche andere Kräfte im Dienste des großen Werkes. So hat es der Herausgeber verstanden zur Richtigstellung der Städteartikel die Mitwirkung sämtliche Magistrate und anderer Behörden heranzuziehen. Auf die dankenswertheste Weise haben sich ausnahmslos die Stadtbehörden bereit finden lassen, die zuverlässigsten Nachrichten über ihre Gemeinden zu geben. Eine ähnliche Unterstützung ist den deutschen Handelskammern und den kaiserlich deutschen Konsulaten nachzurühmen. Auch aus Oesterreich liefen die gewünschten Notizen ein, nur eine Anzahl tschechischer Bürgermeister wies die Anfrage mit Protest zurück.

Ganz unerwartete Schwierigkeiten bietet die Herbeischaffung eines zuverlässigen biographischen Materials über die Persönlichkeiten, welche als Repräsentanten der Gegenwart in dem Lexikon auftreten sollen. „Am willfährigsten,“ erzählt unser Gewährsmann, „sind die jüngeren Zierden unserer Universitäten, die gewissenhaft von den Gymnasialstudien an berichten, bis zu dem, was sie noch zu leisten gedenken; bei weitem spröder zeigen sich die dramatischen Künstler und Künstlerinnen, namentlich verschweigen die letzteren nur zu häufig das Geburtsjahr. Auch wird viel über die Meister der bildenden Künste geklagt und behauptet, die Hand, die gewohnt sei stets den Pinsel oder den Meißel zu führen, ergreife nur mit Widerstreben die Feder. Wirkliche Geheime Räthe und andere Glieder der höheren Bureaukratie pflegen regelmäßig den Vornamen für etwas überflüssiges zu halten. Ein Misverständnis ist unter Umständen allen Kategorien gemeinsam, die Verwechselung der gewünschten kurzen Notizen mit ausführlichen Lebensbeschreibungen. Endlich fehlt es auch nicht an solchen, die sich unerbittlich weigern über ihren Lebenslauf das geringste Licht zu verbreiten.

Langsam gehen alle diese verschiedenen Beiträge bei dem Hauptredakteur ein. Mahnbrief auf Mahnbrief wird erlassen, auch der Telegraph in Thätigkeit gesetzt, um die Nachzügler herbeizuholen. Endlich ist alles beisammen, um die Arbeit des ersten Bandes in Angriff zu nehmen.

Wie alles Menschliche Stückwerk ist, so auch der Riesenhaufen von Manuskripten, der sich in dem Bureau der Hauptredaktion angesammelt hat und der letzten Prüfung harrt. Aus einem halben Hundert Zeitschriften, zu deren Lektüre und Verwerthung ein besonderer Notizensammler angestellt ist, aus sorgfältigster Verfolgung der deutschen und ausländischen Publikationen hat sich eine stattliche Menge von Miszellen und Notizen (z. B. über die neuesten Personalveränderungen, Beförderungen, wissenswerthen Lokalbegebenheiten u. dgl.) angesammelt, die – alle schon längst in der strengen Ordnung erhalten, in welcher sie Verwendung finden sollen, – Veranlassung geben zu Nachträgen aller Art. Die größte Schwierigkeit macht aber die Auseinandersetzung mit diesem und jenem Mitarbeiter, an dessen Manuskript sich die Spezialredakteure nicht getraut haben, Hand anzulegen. Da hält es der Dr. X. für durchaus nothwendig, irgend ein technisches Verfahren, das sich freilich gar nicht bewährt hat, so eingehend darzulegen, als wäre der Aufsatz für das Patentamt bestimmt und er ist tief gekränkt, als ihm auseinander gesetzt wird, daß seine Arbeit auf wenige Zeilen zusammenschrumpfen muß. Da beklagt sich der Professor Y., in dessen Beitrag einige kaum nennenswerthe Kleinigkeiten geändert worden sind, über diesen unerhörten Eingriff in die „berechtigten Eigentümlichkeiten des Autors.“ Um übrigens beiden Parteien gerecht zu werden, darf nicht vergessen werden, wie unendlich schwer es ist, sich in die von dem Konversationslexikon geforderte Kürze zu fügen und wie anerkennenswerth die Bereitwilligkeit derjenigen Gelehrten erscheint, die mit wahrer Selbstverleugnung vor dieser Zumuthung nicht zurückschrecken.

Empfohlene Zitierweise:
Robert Koenig: Wie ein Konversationslexikon gemacht wird. Velhagen & Klasing, Leipzig 1879, Seite 771. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Koenig_Wie_ein_Konversationslexikon_gemacht_wird_1879.pdf/2&oldid=- (Version vom 15.9.2022)