Seite:Kreyssig-Die Dichter der Befreiungskriege.pdf/1

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Die Dichter der deutschen Freiheitskriege.

Im Laufe weniger Wochen sind Thaten geschehen, Opfer gebracht, die nur in den Heldensagen der stolzesten Kriegerstämme ihr Gegenstück finden. Die Blüthe eines friedlichen, arbeitsamen, wohlhabenden, denkenden Culturvolkes hat sich, ohne mit dem Auge zu zucken, dem Schnellfeuer der Chassepots und Mitrailleusen entgegen geworfen, wie ihre zu Jagd und Krieg im rauhen Urwald herangewachsenen Ahnen den Wurfspießen und Schwertern der Le­gionen. „Hoch schlägt Dein Herz, hoch wachsen Deine Eichen, was kümmern Dich die Hügel Deiner Leichen?“ Das ist heute noch furchtbarer und ruhm­voller wahr, als in den Tagen von Dennewitz und Leipzig. Und wenn die Väter sehnend bang nach „des Deutschen Vaterland“ fragten, wenn die Frei­heit, die ihr glühendes, trauerndes Herz meinte, ihnen aus himmlischem Reigen überm Sternenkranz winkte, und ihrer bedrängten, geknechteten Welt nur im Traume des Dichters sich zeigen wollte, so dürfen wir kühnlich und ruhig, auf die saure Arbeit eines halben Jahrhunderts zurückblickend, sprechen: „Dies ist unser, so laßt uns sagen, und so es behaupten.“ Fest gegründet in Recht und Sitte, in hoffnungsfreudigen Anfängen vernünftiger Freiheit und naturwüchsiger Einigung, seiner Kraft vertrauend in sicheren Grenzen, schreitet das Deutschland der Gegenwart auf den winkenden Siegespreis zu, ungeduldig, den blutigen Lorbeer niederzulegen an dem Friedensaltar einer schönen Zukunft. Es ist Männerarbeit, ganze, volle Männerarbeit, die heute gemacht wird. Zu dem heroischen, guten Willen von 1813 ist das sichere, geschulte Können gekommen. „Wenn heut ein Geist herniederstiege“, der Geist eines Kriegers von Ligny und Belle Alliance z. B., so würde er seine Kameraden von Wörth, Saarbrücken und Metz jubelnd begrüßen, aber vor den Führern und Staatsmännern von 1870 würde er sich in freudigem Staunen verneigen, und von den Antworten, welche einst der zornig liebende Dichter auf die verfängliche Frage „nach unseren Bundesgenossen“ hatte, würde heute, Gott sei gelobt, nur die erste ihm werden, die des Herren der Heerschaaren gedenkt, und jene letzte, welche von dem Geist redet, „der die Preußen hat angerührt“, und auch diese würde heute als ein Lied im höhern, deutschen Ton anklingen. Und dennoch – sollen wir es verschweigen? dennoch, durch den Jubel der stolzen Vergleiche, welche beim Rückblicke auf die Thaten und Schicksale der Väter so natürlich sind, klingt es uns wie ein Mollaccord hindurch, mit süß-wehmüthiger Mahnung an die nothwendige Einseitigkeit und Unvollständigkeit alles menschlichen Beginnens. Wir sind seit 1813 merklich practisch und stark geworden, wir haben Vieles gelernt und geschafft, wir haben uns festgesetzt in Macht und Besitz, und auch die Hallen der deutschen Kunst sind in diesem halben Jahrhundert mit Nichten verödet. Selbst der Strom des deutschen Liedes floß nie – breiter wenigstens, als heute. Aber seltsam. Gerade seine kriegerischen, dem Vaterland gewidmeten Weisen scheinen in diesen Tagen der Reise und des Sieges, der bewußten Kraft und der jubelnden Opferfreudigkeit nicht so voll und gewaltig, nicht so tief und innig erklingen zu wollen, wie vor einem halben Jahrhundert, in der „ahnungsgrauenden, todesmuthigen“ Morgenstunde unserer nationalen Wiedergeburt, in den Zeiten der himmelhoch jauchzenden und zum Tode betrübten ersten Liebe für das danieder liegende, und dann zur Freiheit erstandene Vaterland. Oder wären es wirklich nur die tausend Stimmen der eigenen Jugend, der Erinnerungen,

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Kreyßig: Die Dichter der Befreiungskriege. A. H. Payne, Leipzig 1870, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kreyssig-Die_Dichter_der_Befreiungskriege.pdf/1&oldid=- (Version vom 10.12.2016)