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des Glaubens waren ihm aus der Seele gesprochen, und in der urgewaltigen, sinnlichen Kraft der Schiller’schen Jugenddichtungen fühlte er den Pulsschlag des eigenen Herzens. So würden wir denn vergeblich in Körners Dramen die seine künstlerische Berechnung suchen oder die tiefe und mannigfaltige Charakteristik, welche auch dem Talent nur durch saure Arbeit und reiche Erfahrung gelungen; aber auch der philosophisch-ästhetischen Uebercultur be­gegnen wir nicht, welche am Ende der neunziger Jahre den rein menschlichen Aufschwung unserer Dichtung zu übertreiben, und damit zu lähmen begann: Körner hat sich über „classisch“ und „romantisch“, über „Schicksal“ und „christ­liche Weltordnung“, über „antikes und modernes Kunstprincip“ nicht eben den Kopf zerbrochen. In seinen Lustspielen geht es unbefangen heiter zu, in seinen Dramen und Trauerspielen heldenhaft schwungvoll. Und wenn deren Charaktere hier und da an die Engel und Teufel der „Räuber“ und des „Fiesco“ erinnern, so strotzen sie dafür auch von der Kraft der Leidenschaft und der Ueberzeugung und haben dabei, ein nicht geringer Vorzug, die Erb­schaft einer Sprache angetreten, die, als Schiller auftrat, erst noch zu schaffen war. Da ist es nun merkwürdig und erfreulich zu sehen, wie die Entwickelungsfehler dieses Dichtertalentes schwinden und eine freie mächtige Grund­kraft sich mit einem Schlage siegreich bethätigt, unter der Berührung mit dem Ernste der Zeit, mit dem großen heroischen Trauerspiele des Jahrhun­derts. Vorüber sind die Tage der geträumten Freuden und Leiden, das Leben pocht an die Thür der deutschen Studirstube, mit eherner Faust, brutal und gewaltig. Die höhnenden Edicte des fremdländischen Siegers geben den Commentar zu der Lehre von der kosmopolitischen Brüderlichkeit und von der barbarischen Beschränktheit des Patriotismus; der französische Einquartirungs- und Requisitions-Zettel und die Mordsentenzen der napo­leonischen Kriegsgerichte erläutern die „Principien von 1789“; der deutsche Idealismus sieht sich schaudernd einer Macht gegenüber, welche alle Künste der „Civilisation“ unbedenklich in den Dienst der Urbarbarei zwingt, und das grausige, altrömische Vae Victis einer in die Abstractionen des Geistes vertieften Culturwelt höhnisch in’s Gesicht schleudert. Es war die Stunde, von der Körner singt:

„Und vor dem Zorngerichte
Kniet armer Sünder Zahl:
Herr Zebaoth, vernichte
Mir nicht mein stilles Thal!
Die ganze Welt erschlage,
Rotte die Menschheit aus,
Nur laß mir meine Tage,
Und mein Kind, und mein Haus!“

Aber, Gott sei Dank, sie traf doch nicht nur arme „Sünder“ bei uns, diese Stunde der Prüfung, sondern auch genug „der freien männlichen Seelen, die wol die Stirn finster und kraus zogen und wild in die Nacht hinaus starrten“, aber „den Muth sich nicht zügeln ließen“. Und auf Körner’s Dichterseele wirkte die grimme, tragische Noth der Zeit wie der galvanische Funke auf das Gold, plastisch gestaltungskräftig. Es ordnete sich in ihm, die bunten Bilder gewannen Klarheit, der überschwängliche Ausdruck bekam Maß und Gestalt an der herandrängenden Realität der Dinge. Schon die Lieder des Schmerzes und des Trostes aus den Tagen der Noth ergreifen durch innige Wahrheit und maßvolle Kraft. Wie dringt die Stimme des

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Friedrich Kreyßig: Die Dichter der Befreiungskriege. A. H. Payne, Leipzig 1870, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kreyssig-Die_Dichter_der_Befreiungskriege.pdf/4&oldid=- (Version vom 10.12.2016)