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er zu lassen habe. Das ist der Standpunkt der alten Tante, und dieser wird die Kunst um so mehr zu gehorchen sich weigern, je jugendlicher und schaffenskräftiger sie sich fühlt.

Aber eben derselbe Fechner, dieser Typus eines deutschen Professors mit schwacher Gesundheit und etwas philisterhaften Lebensgewohnheiten, der stillen Gemütes von seinem Schreibtische aus Gedanken in die Welt gesendet hat, aus denen hernach große Gebiete menschlicher Forschung und Entwicklung geworden sind, derselbe Fechner hat uns gezeigt, daß es auch eine Ästhetik von unten, eine experimentelle oder besser erfahrungsgemäße Ästhetik gibt, eine Wissenschaft, die nicht der Kunst befiehlt: dies sollst Du tun, sondern eine, die freundlich und eifrig fragt: kann ich Dir nicht helfen?

Ehe freilich die Kunst diese dargebotene Hilfe annimmt, wird sie fragen: kannst Du mir denn überhaupt helfen? Ist nicht vielleicht alles Eingreifen der Wissenschaft eher schädlich als förderlich, indem sie bestrebt ist, an die Stelle aus schönem Wahnsinn geborener Werke der wahren Kunst die nüchternen und dürftigen Ergebnisse verstandesmäßiger Konstruktion zu setzen? So wird der Künstler es vielleicht zulassen, schon weil er es nicht hindern kann, daß sich die Ästhetik der

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Wilhelm Ostwald: Kunst und Wissenschaft. Verlag von Veit und Comp., Leipzig 1905, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunst_und_Wissenschaft.pdf/17&oldid=- (Version vom 1.8.2018)