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Nun werden Sie mir vielleicht einwenden: der Maler malt ja durchaus nicht nur, was er gesehen hat, sondern auch viele Dinge, die es gar nicht gibt, wenigstens für das leibliche Auge, wie schwebende Engel oder Genien, allegorische Göttergestalten und allerlei andere Erzeugnisse der bildenden Phantasie. Hierauf ist zu antworten, daß derartige Gestalten doch nichts sind als Zusammensetzungen oder Umbildungen sichtbarer Erscheinungen. Ferner ist in Betracht zu ziehen, daß früheren Jahrhunderten die physikalischen und physiologischen Unmöglichkeiten derartiger Gebilde durchaus nicht bewußt waren. Uns, denen diese Widersprüche auffallender sind, machen solche Bilder auch einen zunehmend geringeren künstlerischen, d. h. gefühlsmäßigen Eindruck. Die Allegorie wird zurzeit nur noch bei offiziellen und formellen Gelegenheiten in Dienst genommen; bei gewissen phantastischen Richtungen der modernen Malerei, wo gleichfalls Unwirkliches dargestellt wird, handelt es sich wieder um tatsächlich Erlebtes, nämlich die halb traumhaften Betätigungen des Zentralorgans, die ohne äußere optische Reize eintreten. Derartige freikombinierte Erinnerungsbilder der gestaltenden Phantasie haben zweifellos auch gewisse Gemeinsamkeiten, deren Wiedergabe entsprechende Gefühle beim Beschauer hervorruft. Auch hier liegt wohl wieder

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Wilhelm Ostwald: Kunst und Wissenschaft. Verlag von Veit und Comp., Leipzig 1905, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunst_und_Wissenschaft.pdf/40&oldid=- (Version vom 1.8.2018)