Der Kunstfreund: Wie reich ausgestattet ist dies Jahr dieses Zimmer! Wahrlich ein erfreulicher Anblick, so viele brave Meister aus mannichfaltigen Wegen nach dem hohen Ziele der Kunst streben zu sehen! Kaum weiß man, wo man zuerst verweilen soll! – Das sehr bedeutende Werk des verdienstvollen Hartmann, der dies Jahr die ganze Ausstellung ordnete, ziehe mich doch am mächtigsten an. Tritt zurück, Julie, um dies große Gemälde seiner vollen Haltung zu sehen. Welche Wirkung, welche Kraft und Harmonie!
Julie: Herrlich! Seit langer Zeit sahe ich nichts in so großem Style! Aber, Väterchen, erkläre mir nur den Gegenstand! Wie ist es möglich, daß dieser kraftvolle junge Held, den ich fast für einen jugendlichen Herkules halte, nicht fertig wird mit diesen drei wundersamen Knaben? Obgleich ihre schlanken, hohen Gestalten durch Gymnastik sehr geübt scheinen, so sind sie doch der Farbe nach so mädchenhaft zart, daß seine stärkere Manneskraft wohl siegen müßte, wenn er nur wollte.
Der Kenner: Mein Gott, Fräulein, sehen Sie denn nicht, daß dies Hylas ist, welchen die Nymphen rauben, indem er aus der Quelle schöpfen will? Trefflich gezeichnet und meisterhaft gemalt ist Alles in diesem Bilde! Hylas knieend, wendet sich unwillig empor, als ob er Herkules zu Hülfe rufen wollte. Wie kräftig ist dieser edle Kopf, der sich seitwärts wendet, wie schön gezeichnet diese seitwärts gesenkte und rückwärts gebogene Brust! Seine aufgehobne, linke Hand, welche die Spitze der Gruppe bildet, ist sie nicht vollendet schön? Wie kunstvoll geordnet sind die Stellungen der eben aus den tiefen Fluthen auftauchenden Nymphen! Die hinterste, welche von dem meerblauen Gewand umflattert ist, und welche so feurig seinen Arm umschlingt, bildet mit ihrer rasch herunterziehenden Wendung den Gegensatz zu der mittlern, welche, indem sie den Liebling mächtig umfaßt, so sehnsuchtsvoll zu ihm hinauf blickt. Die vordere, deren schönen Rücken wir bewundern, und deren Kopf ganz im Profile steht, scheint die kühnste; sie umklammert sein Kniee und seine Hüfte, und macht ihm jeden Widerstand unmöglich. Wie schön gemalt sind alle diese Körper, wie hebt sich jeder hervor, wie stimmt dies verschiedene Colorit zu so einer vollkommenen Harmonie!
Der Dichter: Ja, dieser Farbenaccord des Colorits, voll dem die lebenwarme, männlich schöne Farbe des Hylas der Grundton ist, zieht mich am meisten an. Das Rosige der entferntern lüsternen Eunica, das zarte bläuliche Weiß der schönen ernsten Malis in der Mitte, das warmerglühende Perlenweiß der verwegnen Nychea vorn, stimmen gut zusammen. Aber, wie ganz anders hatte ich mir dies Bild gedacht! Ist dieser Heldenjüngling der liebliche zarte Hylas, der kaum dem Knabenalter Entwachsne? Sind diese Amazonenengestalten, die weichen, Liebefordernden und Liebespendenden, Lustathmenden Wellengebilde? Ernst und fast schmerzlich blicken sie empor: hierin liegt wohl etwas Edles, aber den süßen Liebreiz, der dabei um alle ihre Züge spielen sollte, vermisse ich doch zu sehr, und am meisten bei den scharfen Linien der Nychea. Nur zu Kampf und Ringerspiel scheinen diese Körper
Unbekannt: Bemerkungen über die diesjährige Dresdner Kunstausstellung, in Briefen. F. A. Brockhaus, Leipzig 1818, Seite 585. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunstblatt_1818_Dresdner_Kunstausstellung.djvu/4&oldid=- (Version vom 13.11.2024)