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französische. Mit achtzehn Jahren heiratet er die Schwester eines der kleineren Führer der Revolution, und die Verwickelungen dieser Ehe sind seinem ganzen Leben immer am gefährlichsten geworden. Nach der Heirat verläßt er die Frau schnell; er kommt nach Belgien, und bis dahin hatte er schon alle Berufe durchgemacht, vom Puppenspieler bis zum Leutnant. Jetzt ist er schon seit langem auf der Flucht vor Polizei und Militär. Seine ersten Schritte in Frankreich entscheiden nun die Richtung seines Lebens. In Lille hat er einen Streit mit einem Offizier und wird zum erstenmal zu Gefängnis verurteilt. Dann geht es unaufhaltsam: acht Jahre Zwangsarbeit. Das Bagno in Brest. Er entweicht, man fängt ihn. Er entweicht wieder, streicht durch das Land umher, sein Leben hat nur ein Ziel, der Polizei zu entkommen. Es ist ein heute vielleicht unmöglicher, weitgespannter Kampf zwischen der Uebermacht der Gesellschaft und den Unabhängigkeitsinstinkten Vidocqs, dieses wüste Umherirren, das Leben unter Verbrechern, die ewigen Fluchtversuche, das beständige Wechseln der Identitätspapiere, immer neue Verkleidungen und neue Namen, immer neue Verbrechen. Nur um leben zu können. Er ist Schmuggler; Mitglied von Räuberbanden; Freund öffentlicher Mädchen. Die Schilderungen seiner Zusammenkünfte mit Frauen sind unendlich typisch für die unmittelbaren und besinnungslos gewährten Sympathien der Frau gegen Flüchtlinge in Gefahr – und für die unbeabsichtigte Verräterei nachher.

Im Jahre 1809 – Vidocq war also damals ein etwa Fünfunddreißigjähriger – wendet sich sein Leben entscheidend: er wird Spitzel. Der Polizeidienst führt ihn bis zum Amt des Chefs der Sicherheitsbrigade. 1827 nimmt er seine Entlassung, und bis in jene Zeit gehen seine Aufzeichnungen, die er zum Teil mit der Hilfe eines gewerbsmäßigen Pamphletisten schrieb. Er gründet nun eine Papierfabrik in der Provinz, aber er macht Bankrott, denn als Arbeiter stellte er entlassene Sträflinge ein, Männer und Frauen; das war damals so unerhört, daß seine Fabrik boykottiert

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_006.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)