Seite:Landstreicherleben 015.jpg

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daß es sorgfältig verschlossen war. Am selben Tage gab mir mein Vater zu verstehen, ich möge etwas mehr Eile auf meine Runden wenden und zur bestimmten Stunde nach Hause kommen.

So war es denn klar, daß ich fürderhin weder Geld noch Freiheit mehr haben würde. Ich beklagte dieses doppelte Unglück tief und beeilte mich, einem meiner Kameraden – er hieß Poyant und war viel älter als ich – davon Mitteilung zu machen. Nun hatte die Ladenkasse einen Schlitz, durch den man das Geld einwarf. Also riet mir mein Freund zunächst, ich solle in das Loch eine Rabenfeder, die mit Vogelleim beschmiert war, einführen. Aber dieser geniale Einfall verhalf mir nur zu kleinen Geldstücken und wir mußten uns zur Anwendung eines falschen Schlüssels entschließen, den er mir von dem Sohne eines Schutzmanns herstellen ließ. So fischte ich denn von neuem in der Kasse, und wir verfraßen den Ertrag dieser Diebstähle in einer Kneipe, in der wir unser Hauptquartier aufgeschlagen hatten. Da kam eine nette Anzahl von notorisch üblen Burschen zusammen, die der Schenkwirt selbst herangezogen hatte; auch ein paar verunglückte junge Leute, die, um volle Taschen zu haben, dasselbe Mittel anwandten wie ich. Bald stand ich mit allem in Beziehung, was es im Lande an Durchgängern gab, mit Boudon, Deleroir, Hidou, Franchison, Basserie, – und die weihten mich in ihre Ausschweifungen ein. Das war eine ehrenwerte Gesellschaft, an deren Busen meine Mußestunden verstrichen! Bis zu jenem Moment, da mein Vater mich eines Tages überraschte, wie er meinen Bruder überrascht hatte, sich meines Schlüssels bemächtigte und solche Vorsichtsmaßregeln ergriff, daß ich nicht mehr daran denken konnte, mir eine Dividende aus seiner Einnahme zu verschaffen.

Es blieb mir also nur die Einnahmequelle übrig: den Zoll auf Lieferungen in natura zu erheben. Von Zeit zu Zeit eskamotierte ich einige Brote. Aber um sie loszuwerden, war ich gezwungen, sie zu sehr niedrigem Preise abzugeben und so hatte ich vom Ertrag des Verkaufs kaum genug, um mir recht Torten und Honigzucker

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_015.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)