Seite:Landstreicherleben 028.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

„Hier sind wir,“ sagte der Wanderdoktor und klopfte an die Tür.

„Wer ist da?“ rief eine rauhe Stimme.

„Vater Godard mit seinem Hanswurst,“ antwortete mein „Führer“.

Sofort wurde die Tür aufgemacht, und wir kamen in eine Gesellschaft von ungefähr zwanzig Hausierern, Kesselflickern, Marktschreiern, Schirmhändlern und Puppenspielern. Sie begrüßten meinen neuen Herrn mit Jubel und ließen für ihn Essen bringen. Ich glaubte, man würde mir nicht weniger Ehre erweisen als ihm, und war schon bereit, mich an den Tisch zu setzen, da klopfte mir der Wirt vertraulich auf die Schulter und fragte, ob ich nicht der Hanswurst von Vater Godard sei.

„Was meinen Sie denn mit Hanswurst?“ rief ich erstaunt.

„Nun, den Ausrufer!“

Ich muß gestehen, daß ich mich trotz meiner noch frischen Erinnerungen an die Menagerie und an das „Vergnügungs- und Spezialitätentheater“ durch eine solche Bezeichnung erniedrigt fühlte. Aber ich hatte einen Höllenhunger, und da ich dachte, daß der Schlußpunkt des Verhörs das Nachtessen sein würde – und da nach allem meine Tätigkeit bei Vater Godard nicht allzu genau fixiert worden war –, so hatte ich nichts dagegen, für seinen Hanswurst zu gelten. Kaum hatte ich „ja“ gesagt, so führte mich der Wirt auch wirklich in einen Raum nebenan, eine Art Scheune, wo ein Dutzend meiner Kollegen rauchten, tranken und Karten spielten. Er rief: „Bedienung!“ Darauf kam ein dickes Mädchen und brachte einen Holznapf, auf den ich mich mit Gier stürzte. Darin schwamm eine Lammkeule in Spülwasser mit faserigen Rüben: im Nu war alles verschwunden. Nach beendigter Mahlzeit streckte ich mich zu den anderen Ausrufern aufs Lager. Wir teilten unsere Strohbündel mit einem Kamel, zwei Bären ohne Maulkorb und einer Meute dressierter Hunde. Die Nachbarschaft solcher Bettgenossen war nichts weniger als beruhigend, doch man mußte sich darein schicken.

Empfohlene Zitierweise:
Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_028.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)