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ich ihm: „Los! – Spring – oder hänge dich auf!“ Er kennt die Höhe, zögert und erklärt schließlich, er wolle sich eher dem Urteil aussetzen, als die Beine brechen. Gerade will er wieder ins Gefängnis zurück. Aber in dem Moment, wo er es am wenigsten erwartet, geben wir ihm einen Stoß. Er stößt einen Schrei aus, ich rufe ihm nach: „Sei still!“ und schleiche wieder in mein Loch zurück. Diese Nacht kostete ich auf meinem Stroh die Ruhe aus, die das Bewußtsein einer guten Tat bringt. Am anderen Morgen entdeckte man, daß mein Genosse entkommen war, man vernahm mich, aber als ich erklärte, ich hätte nichts gesehen, ließ man mich in Ruhe. Mehrere Jahre später begegnete ich einmal diesem Unglücksraben. Er betrachtete mich als seinen Befreier. Seit seiner Flucht hinkte er, aber er war ein anständiger Mensch geworden.

Ich konnte nicht ewig in Arras bleiben. Gerade war der Krieg mit Österreich erklärt worden, ich marschierte mit dem Regiment, und kurz darauf nahm ich an jener Niederlage von Marrein teil, die zu Lille mit der Ermordung des tapferen, unglücklichen Generals Dillon anging. Nach diesem Begebnis schickte man uns nach Mauld ins Lager, und darauf nach La Lune. Da nahm ich mit der Höllenarmee unter dem Befehl Kellermanns am Gefecht vom 20. September 1792 gegen die Preußen teil. Am anderen Tage rückte ich zum Korporal bei den Grenadieren auf. Die Treffen mußten „begossen“ werden, und das erledigte ich in der Kantine mit Glanz. Da bekam ich Streit mit dem Sergeant-Major der Kompagnie, die ich verließ. Ein Duell, das ich vorschlug, wurde angenommen. Aber kaum waren wir auf dem Kampfplatz, da behauptete mein Gegner, der Rangunterschied erlaube ihm nicht, sich mit mir zu schlagen. Ich wollte ihn zwingen, aber er zeigte mich an, und noch am selben Abend setzte man mich mit meinem Sekundanten auf Feldwache. Zwei Tage darauf teilte man uns mit, es sei die Rede davon, uns vor ein Kriegsgericht zu stellen. Es war höchste Zeit, zu desertieren, und das taten wir auch schleunigst. Mein

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_032.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)