Seite:Landstreicherleben 036.jpg

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Aber sie liebte mich sehr, und um es mir zu beweisen, war sie der größten Opfer fähig, und nichts war ihr zu teuer. Ich war für ihren Geschmack der schönste aller Jäger, weil ich ihr gehörte, und sie wollte auch, daß ich der auffallendste sein sollte. Schon hatte sie mir eine Uhr zugesteckt, und ich war ganz stolz über einige kostbare Schmucksachen, Unterpfänder des Gefühls, das ich ihr einflößte; da erfuhr ich, daß Manon, auf die Anzeige ihres Herrn hin, wegen Hausdiebstahls vorgeladen worden war. Manon gestand ihr Vergehen ein, aber um sicher zu sein, daß ich nach ihrer Verurteilung mich nicht in die Arme einer anderen werfen würde, bezeichnete sie mich gleichzeitig als ihren Komplizen; sie ging sogar so weit, zu behaupten, daß ich sie angestiftet hätte. Die Sache schien einige Wahrscheinlichkeit zu haben. Ich wurde in eine Untersuchung verwickelt, und ich hätte mich nur mit großer Mühe aus dieser üblen Affäre ziehen können, wenn ich nicht durch Zufall ein paar Briefe wiedergefunden hätte, aus denen der Beweis meiner Unschuld hervorging. Manon wurde verwirrt und widersprach sich. Ich war unterdessen im Gefängnis zu Stenay eingesperrt gewesen. Nun wurde ich entlassen und kehrte zurück, unschuldig wie der weiße Schnee. Mein Hauptmann, der mich nie für schuldig gehalten hatte, freute sich sehr, mich wiederzusehen, aber die anderen Jäger verziehen es mir nicht, daß ich unter Verdacht gestanden hatte. Da ich Zielscheibe für allerhand Anspielungen und Vorwürfe war, so hatte ich nicht weniger als zehn Duelle in sechs Tagen. Schließlich wurde ich schwer verwundet, mußte ins Spital gebracht werden, und da lag ich nun länger als einen Monat. Bei meiner Entlassung aus dem Krankenhaus überzeugten sich meine Vorgesetzten, daß die Streitigkeiten wieder aufs neue anfangen würden, wenn ich mich nicht auf einige Zeit entfernte, und so gaben sie mir denn einen sechswöchentlichen Urlaub. Den brachte ich in Arras zu, wo ich mit Erstaunen meinen Vater in einem öffentlichen Amte vorgefunden hatte. In seiner Eigenschaft als ehemaliger Bäcker war er bei der Aufsicht

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_036.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)