Seite:Landstreicherleben 040.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Lächeln. Er hörte auf, den Takt mit dem linken Fuß zu schlagen, die Trompetenstöße brachen ab: er gab ein Zeichen und der Greis wurde unters Messer geschoben. Eine Art Gerichtsschreiber erschien jetzt, halb betrunken, an der Seite des „Rächers des Volkes“ – nämlich des Scharfrichters – und las mit krächzender Stimme einen Erlaß der Rhein- und Moselarmee vor. Bei jedem Paragraphen blies das Orchester einen Akkord, und als die Verlesung zu Ende ging, beim Schrei des „Es lebe die Republik!“ fiel das Haupt des Unglücklichen.

Ich bin nicht imstande, den Eindruck, den diese entsetzliche Szene auf mich machte, wiederzugeben. Ich kam bei meinem Vater fast ebenso entseelt an wie derjenige, dessen Todeskampf ich eben auf so grausame Weise hatte in die Länge ziehen sehen. Hier erfuhr ich nun, daß es ein Herr von Mongon, ehemaliger Kommandant der Zitadelle, gewesen war, den man „wegen Aristokratie“ verurteilt hatte. Wenige Tage vorher hatte man auf demselben Platz Herrn von Vieux-Pont hingerichtet; sein ganzes Verbrechen bestand darin, daß er einen Papagei besaß, in dessen Geschwätz man den Ruf: „Es lebe der König!“ zu erkennen geglaubt hatte. Beinah hätte der Vogel das Los seines Herrn teilen müssen, und man erzählte, daß er seine Begnadigung nur der Fürbitte der Bürgerin Lebon zu verdanken hatte, die es auf sich nahm, ihn zu bekehren. Die Bürgerin Lebon war eine ehemalige Nonne aus der Abtei du Vivier. Sie übte einen großen Einfluß auf die Mitglieder der Kommission von Arras aus, in der als Richter wie als Geschworener ihr Schwager und drei ihrer Onkel saßen. Die Exnonne war ebenso geld- wie blutgierig. Eines Abends im Theater hielt sie plötzlich eine Rede ans Parterre: „Hallo, ihr Sansculotten, für wen guillotiniert man denn, zum Teufel! Ihr müßt die Vaterlandsfeinde anzeigen! Kennt ihr irgendeinen Adligen oder Reichen oder Aristokratenkaufmann? Zeigt ihn an, und ihr sollt seine Taler haben!“ Der Scheußlichkeit dieses Wesens kam nur noch die ihres Mannes gleich, der sich allen nur denkbaren Ausschweifungen

Empfohlene Zitierweise:
Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_040.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)