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Dem setzte ich meine Lage auseinander. Ich sprach ganz freimütig, und er schien einiges Interesse an mir zu nehmen. Der kommandierende Divisionsgeneral wollte die Erzählung aus meinem eigenen Munde hören, und so ungefähr zwanzigmal platzte er fast vor Gelächter. Dann gab er Order, mich in Freiheit zu setzen und ließ mir eine Marschroute einhändigen, nach der ich zum achtundzwanzigsten Bataillon in Brabant stoßen sollte. Aber statt diesem Ziel zuzugehen, zog es mich nach Arras, und ich war entschlossen, nur im äußersten Falle je wieder in den Dienst zurückzukehren.

Mein erster Besuch galt dem Patrioten Chevalier. Sein Einfluß auf Joseph Lebon ließ mich hoffen, durch seine Vermittlung eine Verlängerung des Urlaubs zu erhalten. Man gewährte sie mir auch wirklich, und so war ich aufs neue in der Familie meines Beschützers eingeführt. Seine Schwester, deren gute Gesinnungen für mich man schon kennt, verdoppelte ihre Lockungen. Andererseits gewöhnte mich der tägliche Umgang mit ihr unmerklich an ihre Häßlichkeit. Kurz und gut, die Dinge kamen so weit, daß ich eines Tages nicht sehr erstaunt war, als sie mir erklärte, sie sei schwanger. Sie sprach nicht von Ehe, sie selbst sprach das Wort nicht aus. Aber ich sah nur allzusehr, daß es doch zur Ehe kommen mußte, denn sonst hätte ich mich der Rache des Bruders ausgesetzt, der mich gewiß sofort als verdächtiges Individuum, als Aristokraten und vor allem als Deserteur denunziert hätte. Meine Eltern hatten diese Erwägungen wohl schon selbst angestellt, und dann hegten sie auch die Hoffnung, mich bei sich zu behalten. So gaben sie also ihre Einwilligung zur Heirat, auf die die Familie Chevalier sehr drang. Endlich wurde die Ehe geschlossen, und ich war mit achtzehn Jahren verheiratet. Ja, ich glaubte sogar schon, ich sei Vater, aber kaum waren einige Tage verstrichen, als meine Frau mir gestand, daß ihre Schwangerschaft nur simuliert gewesen sei und nur das Ziel gehabt habe, mich zum „conjungo“ zu führen. Man kann sich meine Freude vorstellen, die mir diese Beichte verursachte.

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_051.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)