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Kronen ziehen!“ Was sollte ich auf so gewichtige Gründe einwenden? Ich konnte gerade nur das Geld behalten, und das tat ich auch.

Diese kleinen Dividenden, zu denen noch einige hundert Taler von meiner Mutter kamen, setzten mich instand, eine Rolle zu spielen, und der Emilie meine Dankbarkeit zu beweisen; denn gegen ihre Anhänglichkeit war ich doch nicht fühllos geblieben. Unsere Sachen waren also in gutem Zuge. Da wurde ich eines Abends im Theatre du Parc von einigen Polizeiagenten angehalten, die verlangten, daß ich meine Papiere zeige. Das wäre für mich ein ziemlich gefährliches Ding gewesen. Ich antwortete, ich hätte keine. Man führte mich in Haft ab, und am anderen Morgen beim Verhör merkte ich, daß man mich nicht kannte oder daß man mich verwechselte. Ich erklärte also, ich heiße Rousseau, gebürtig aus Lille. Ich sei nach Brüssel zu meinem Vergnügen gekommen und hätte nicht geglaubt, Papiere nötig zu haben. Dann verlangte ich auf meine Kosten nach Lille gebracht zu werden, in Begleitung von zwei Gendarmen. Das gestand man mir zu, und mit Hilfe einiger Kronen war meine Eskorte auch damit einverstanden, daß die arme Emilie mich begleiten durfte.

Brüssel hinter mir zu haben, das war schon gut. Aber es war noch wichtiger, nicht in Lille anzukommen, wo ich unweigerlich als Deserteur erkannt werden mußte. Ich mußte um jeden Preis entwischen, und das war auch die Meinung Emiliens. Ich sagte ihr also einen Plan, den wir ausführten, als wir in Tournai ankamen. Ich sagte zu den Gendarmen, bevor wir uns am Tage nach unserer Ankunft in Lille verlassen würden – denn ich würde ja gleich in Freiheit gesetzt werden – wollte ich mich bei ihnen noch mit einem guten Abendessen verabschieden. Sie waren ohnehin schon entzückt von meinem offenen Wesen und meiner Heiterkeit, und so nahmen sie das Anerbieten von ganzem Herzen an. Am Abend lagen sie endlich, trunken von Bier und Branntwein, unterm Tisch, und sie glaubten mich im selben

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_057.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)