Seite:Landstreicherleben 070.jpg

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Und da ich ihr darüber mein Erstaunen äußerte, so antwortete sie mir mit einer gemachten Grobheit, daß „Privatangelegenheiten ihr schlechte Laune verursachten“. Das war eine Falle; aber ich war durch mein erstes Eingreifen in ihre „Angelegenheiten“ schon so gewitzigt worden, daß ich mich nicht mehr hineinmischen wollte, und so bat ich sie mit einer gemacht gerührten Miene, sich doch nur in Geduld zu fassen. Darüber wurde sie nur noch mürrischer. Einige Tage vergingen so unter Murren. Endlich platzte die Bombe.

In der Folge einer ganz unbedeutenden Diskussion sagte sie zu mir im allerimpertinentesten Tone, sie „liebe es nicht, gekränkt zu werden, und diejenigen, die sich mit ihrer Art nicht abfinden könnten, die sollten doch zu Hause bleiben“. Das war deutlich gesprochen. Aber ich hatte die Schwäche, es nicht verstehen zu wollen. Neue Geschenke verschafften mir für einige Tage eine Zärtlichkeit, über die ich mich trotzdem nicht hätte täuschen dürfen. Nun kannte Rosine den ganzen Vorteil, den man aus meiner blinden Ergebenheit ziehen konnte, und so kam sie bald wieder mit der Bitte um die Summe eines Wechsels von zweitausend Franken, den sie unter Gefahr der Gefängnisstrafe einlösen mußte. Rosine im Gefängnis! Dieser Gedanke war mir unerträglich, und ich war schon im Begriff, neue Opfer zu bringen, als der Zufall mir einen Brief in die Hände spielte, der mir die Augen öffnete.

Es war von dem „Brotliebsten“ Rosinens, der von Versailles aus, wo er hingesetzt worden war, fragte, wann denn der Trottel verschwinden würde, damit endlich er wieder auf der Bildfläche erscheinen können. Ich hatte dieses angenehme Briefchen gerade den Händen von Rosinens Portier entrissen. Ich steige sofort hinauf zu ihr; sie war ausgegangen. Voll von Wut und Erniedrigung zu gleicher Zeit konnte ich nicht an mich halten. Ich war gerade im Schlafzimmer: mit einem Fußtritt schmeiße ich ein Tischchen mit Porzellan um, dann fliegt der Spiegel, den eine Psyche hält, in Splitter. Divine, die Kammerfrau, die mich

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_070.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)