Seite:Landstreicherleben 078.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Ich konnte hier nicht groß den feinen Mann machen; trotzdem fragte ich aber doch meinen Chef, warum er, den ich immer hatte ein gutes Nachtlager wählen sehen, sich diesmal ein so schlechtes nähme? Er antwortete mir, daß man in allen Städten, wo es ein Haus für Romamichels gäbe, genötigt sei, dort zu wohnen; sonst würde man als falscher Bruder angesehen und dementsprechend vom Rat des Stammes bestraft. Die Frauen und die Kinder teilten übrigens selbst dieses Soldatenlager; und man merkte an dem Schlaf, der sie bald überfiel, daß ihnen diese Art der Nachtruhe vertraut war.

Bei Tagesanbruch war jedermann schnell auf den Beinen, und es wurde große Toilette gemacht. Hätten meine Schlafgenossen nicht diese prononcierten Züge gehabt, diese Haare, so schwarz wie Jade, diese ölig-kupferfarbene Haut, so hätte ich sie kaum wiedererkannt. Die Männer waren als reiche holländische Pferdehändler gekleidet, sie hatten schwere lederne Gürtel an, wie sie die Marktleute von Poissy tragen. Die Frauen waren bedeckt mit Schmucksachen aus Gold und Silber, und trugen das Kleid der Bäuerinnen von Zeeland. Selbst die Kinder, die ich doch noch ganz in Lumpen gesehen hatte, waren reinlich angezogen und hatten ein ganz anderes Aussehen. Bald verließen alle das Haus und schlugen verschiedene Richtungen ein, um nicht gemeinsam auf dem Marktplatz anzukommen. Auf dem Marktplatz war unterdessen schon eine große Menge von Landleuten versammelt. Als Christian sah, daß ich mich anschickte, mit ihm zu gehen, sagte er mir, er habe mich den ganzen Tag nicht nötig, ich könne gehen, wohin ich wolle; am Abend sollten wir uns wieder bei der „Herzogin“ treffen. Dann drückte er mir einige Kronen in die Hand und verschwand.

Da er mir an diesem Morgen gesagt hatte, daß ich noch nicht gezwungen sei, zusammen mit der Truppe zu wohnen, so mietete ich mir zuerst in einem Wirtshaus ein Bett. Dann, da ich nicht wußte, wie ich die Zeit totschlagen sollte, ging ich und sah mir die Messe an. Kaum hatte ich den Marktplatz ein paarmal überschritten,

Empfohlene Zitierweise:
Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_078.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)