Seite:Landstreicherleben 084.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Fünftes Kapitel


Flucht


Im Gefängnis verfiel ich in eine Krankheit, während welcher Francine mir alle mögliche Sorgfalt angedeihen ließ. Kaum war ich genesen, da wurde es mir klar, daß ich diesen Zustand nicht länger ertragen konnte. Ich beschloß zu entfliehen, und zwar durch die Tür, obwohl dies ziemlich schwer zu sein schien. Aber einige ganz besondere Beobachtungen bestimmten mich, diesem Weg vor allen anderen den Vorzug zu geben. Der Torwächter im Gefängnis war ein Sträfling vom Bagno zu Brest, der lebenslänglich verurteilt war. Er war jedoch später auf sechs Jahre Gefängnis in Lille begnadigt worden, und dort hatte er sich dem Gefängniswärter nützlich gemacht. Dieser war nun überzeugt, daß ein Mensch, der vier Jahre im Bagno zugebracht habe, gewissermaßen ein vollkommener Wächter sein müsse, weil er fast alle Mittel zur Flucht kenne, und so ernannte er ihn zum Range des Torwächters. Ich aber zählte auf die Plumpheit dieses Wunders von Finessen; und der Torwächter schien mir um so leichter hintergangen werden zu können, als er so sehr viel Vertrauen in seine eigene Umsicht setzte. Mit einem Wort, ich hatte die Absicht, an ihm in der Uniform eines höheren Offiziers vorbeizugehen, der zweimal wöchentlich das Gefängnis visitierte.

Francine, die mich beinahe täglich besuchte, ließ mir die nötigen Kleider machen, und trug sie mir nach und nach in ihrem Muff zu. Ich probierte sie an, sie paßten mir ausgezeichnet.

Empfohlene Zitierweise:
Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_084.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)