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passiert? … Sagen Sie es mir und ich gebe Ihnen alle nur möglichen Aufklärungen.“

„Ist Ihnen nichts Besonderes vorgekommen, als Sie ihre Sachen stahlen?“

„Absolut nichts, ich erinnere mich zumindest an nichts.“

„Sie bestehen also auf Ihren Aussagen?“

„Ja!“

„Sie wollen die Justiz täuschen … Um Ihnen Zeit zu lassen über Ihre Lage und die Folgen Ihrer Hartnäckigkeit nachzudenken, hebe ich Ihr Verhör jetzt auf; ich werde es morgen fortsetzen … Gendarmen, auf diesen Menschen besonders gut aufgepaßt…!“

Es war schon spät, als ich in meine Zelle zurückkam. Man brachte mir mein Essen; aber die Aufregung, in die mich dieses Verhör versetzt hatte, erlaubte mir nicht zu essen. Es war mir auch unmöglich, zu schlafen, und die ganze Nacht über schloß ich kein Auge. Da war ein Verbrechen gegangen worden! Aber an wem? … Von wem? … Warum beschuldigt man mich? … Ich stellte mir diese Fragen zum tausendstenmal, ohne eine vernünftige Antwort darauf zu finden. Am anderen Morgen holte man mich, um das Verhör fortzusetzen. Nach Stellung der gewöhnlichen Fragen öffnete sich plötzlich eine Tür. Zwei Gendarmen traten ein, sie stützten eine Frau … Es war Francine … Francine, bleich, entstellt, kaum zu erkennen. Als sie mich sieht, wird sie ohnmächtig. Ich wollte auf sie zueilen, die Gendarmen halten mich zurück. Man trug sie fort. Ich blieb allein mit dem Untersuchungsrichter, der mich fragte, ob denn die Anwesenheit dieses unglückseligen Wesens mich nicht bestimmen könnte, alles einzugestehen. Ich beteuerte meine Unschuld und versicherte, ich wüßte von nichts, nicht einmal von der Krankheit Francines. Man führte mich wieder ins Gefängnis, aber nun war das Geheimnis gelüftet, und ich konnte endlich hoffen, die Begebenheit, deren Opfer ich auf so sonderbare Art geworden war, in allen ihren Einzelheiten kennen zu lernen.

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_094.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)