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Zweimal wöchentlich durften wir uns mit unseren Advokaten beraten. Das fand in einem Korridor statt, dessen eine Tür zum Gerichtshof führte. Ich fand Gelegenheit, mir einen Schlüsselabdruck von dieser Tür zu verschaffen. Desfosseux stellte einen Schlüssel her, und eines schönen Tages, als mein Advokat sich gerade einem anderen Gefangenen widmete, der wegen Doppelmordes angeklagt war, spazierten wir alle drei unbemerkt zur Tür hinaus. Zwei andere Türen, den wir begegneten, waren im Nu eingeschlagen, und bald war das Gefängnis weit hinter uns. Aber mich beunruhigte eins: unser ganzes Vermögen bestand aus sechs Franken, und ich sah keine Möglichkeit, mit diesem Schatz sehr weit zu kommen. Ich sage es meinen Kameraden, sie sehen mich mit einem finsteren Lächeln an. Ich wiederhole meine Frage, sie gestehen mir, daß sie in der folgenden Nacht in einem Landhaus in der Nähe, das sie genau kennen, einbrechen wollen.

Das war nun nicht mein Fall. Ich hatte mir Desfosseux’ Geschicklichkeit wohl zugute kommen lassen, um dem Gefängnis zu entkommen, aber ich war weit davon entfernt, mich an einem solchen Verbrechen zu beteiligen. Aber ich hielt es für besser, nichts zu erwidern. Am Abend befanden wir uns in der Nähe eines Dorfes auf dem Wege nach Cambrai. Wir hatten seit dem Frühstück im Gefängnis nichts genossen, und der Hunger wurde quälend. Es mußten im Dorfe Lebensmittel aufgetrieben werden. Der Anblick meiner halbnackten Gefährten konnte leicht Verdacht erwecken; so wurde ausgemacht, daß ich auf Proviant ausgehen sollte. Ich begebe mich in eine Herberge, kaufe Brot und Branntwein und gehe zu einer anderen Tür hinaus. Ich verschwinde nach der entgegengesetzten Seite zu jener, wo sich meine beiden Gefährten befinden, und bin sie auf diese Weise los. Ich marschiere die ganze Nacht und mache erst gegen Morgen halt, um in einem Heuschober ein paar Stunden zu schlafen.

Vier Tage später war ich in Compiègne. Ich näherte mich

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_112.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)