Seite:Landstreicherleben 115.jpg

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Der jüngste von den Duhesme trug in seiner Schuhsohle eine Messerklinge, die er während des Transports von Bailleul nach Douai dort versteckt hatte. Da er hörte, daß ich im Gefängnis sozusagen zu Hause war, teilte er mir sein Geheimnis mit und fragte mich, ob wir nicht einen Fluchtversuch wagen könnten. Ich überlegte mir das noch, als der Friedensrichter mit einigen Gendarmen erschien und in meiner Zelle eine strenge Durchsuchung und eine Leibesvisitation vornehmen ließ. Niemand von uns wußte den Grund davon, aber ich hielt es für ratsam, eine kleine Feile, die ich bei mir hatte, im Munde zu verstecken. Einer der Gendarmen hatte aber meine Bewegung bemerkt und rief: „Er verschluckt es gerade!“

Was war das? Alle sehen sich um, und da erfahren wir, daß man ein Petschaft sucht, das zum Siegeln eines unterschobenen Befreiungsbefehls gedient hatte. Da der Verdacht auf mich fiel, wurde ich in das Gefängnis des Stadthauses geworfen. Hier wurde ich so gefesselt, daß meine rechte Hand am linken Bein, und meine linke Hand am rechten Bein festgebunden war. Das Gefängnis war so feucht, daß das Stroh, auf das man mich geworfen hatte, in zwanzig Minuten naß wurde, als ob es aus dem Wasser gezogen sei.

Ich blieb acht Tage in dieser entsetzlichen Lage. Endlich entschloß man sich, mich ins gewöhnliche Gefängnis zurückzubringen. Man hatte eingesehen, daß ich das Petschaft nicht verschluckt haben konnte, ohne es auf gewöhnlichem Wege wieder von mir geben zu müssen. Als ich diese Nachricht vernahm, stellte ich mich, wie man in solchen Fällen immer zu tun pflegt, sehr schwach. Ich konnte kaum das Tageslicht ertragen. Die ungesunde Luft des Kerkers ließ eine solche Schwäche sehr natürlich erscheinen. Die Gendarmen gingen auch richtig auf den Leim. Sie trieben die Gefälligkeit so weit, daß sie mir die Augen mit einem Taschentuch bedeckten. Wir fuhren in einem geschlossenen Wagen. Unterwegs reiße ich das Tuch herunter, öffne mit grenzenloser Flinkheit den Schlag und springe auf

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_115.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)