Seite:Landstreicherleben 139.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

die drei Kanonenschüsse vernahm, die abgefeuert werden, um die Entweichung eines Galeerensträflings anzuzeigen, und um die Bauern der Umgegend zu benachrichtigen, daß für die Ergreifung des Flüchtlings eine Belohnung von hundert Franken ausgesetzt ist. Ich sah in der Tat sofort eine Menge mit Flinten und Sensen bewaffnete Menschen übers Feld laufen und jedes Gebüsch absuchen. Einige Arbeiter schienen sogar aus Vorsicht die Waffe ergriffen zu haben, denn ich sah sie ihre Werkstätten mit einer Flinte verlassen. Einer ging ganz nahe an mir vorbei auf einem Feldwege, den ich eingeschlagen hatte, als ich die Kanonenschüsse vernahm, aber er achtete nicht auf mich: ich war recht sauber gekleidet, und da ich wegen der Hitze meinen Hut unter dem Arm trug, ließ ich einen Haarschopf sehen, der ja niemals einem Sträfling gehören konnte.

Ich ging immer tiefer in das Innere des Landes; Dörfer und einzelne Häuser mied ich. Gegen Abend begegnete ich zwei Frauen und fragte sie, auf welchem Wege ich mich befände. Sie antworteten mir in einer Mundart, von der ich kein Wort verstand. Als ich ihnen aber Geld zeigte und ein Zeichen machte, daß ich essen wollte, führten sie mich in ein Wirtshaus, das am Ende eines Dorfes stand und vom … Feldhüter gehalten wurde. Ich sah in, mit allen Zeichen seiner Würde angetan, am Kamin sitzen. Einen Augenblick lang war ich ganz verwirrt, ich faßte mich aber bald wieder und sagte zu ihm, ich wollte den Maire sprechen.

„Das bin ich,“ sagte ein alter Bauer in Wollmütze und Holzschuhen, der an einem kleinen Tische Buchweizenfladen verzehrte. Eine neue Enttäuschung für mich: ich hatte gehofft, auf dem Wege von der Schenke zum Maire mich davonmachen zu können.

Ich sagte dann dem Beamten in den Holzschuhen, daß ich mich auf dem Wege von Morlaix nach Brest verirrt hätte; ich fragte zugleich, wie weit ich mich von Brest befände, da ich noch bis zur Nacht die Stadt erreichen wolle.

Empfohlene Zitierweise:
Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_139.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)