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in die Methoden eingeweiht worden, wie man sich Wunden und Geschwüre anlegt, mit Hilfe deren Bettler das Mitleid des Publikums hervorrufen und Almosen erhalten. Ich wählte das Mittel, durch das der Kopf wie ein Scheffel anschwillt, denn darauf fallen die Ärzte unfehlbar herein. Außerdem ist diese Krankheit nicht schmerzhaft, und ihre Spuren lassen sich innerhalb eines Tages wieder verwischen.

Mein Kopf bekam also auf einmal riesenhafte Dimensionen. Große Aufregung unter den Ärzten der Anstalt. Sie waren scheinbar nicht besonders beschlagen und wußten nicht recht, was sie davon halten sollten. Ich glaube, sie sprachen von Elefantiasias und Hydropsie des Gehirns. Wie dem auch sei, die ärztliche Konsultation endete mit der im Spital üblichen Vorschrift der allerstrengsten Diät.

Hätte ich Geld gehabt, so würde ich mich um diese Vorschrift den Teufel was gekümmert haben. Aber mein Etui enthielt nur noch einige Goldstücke, und ich fürchtete, Verdacht zu erregen, wenn ich sie wechselte. Ich entschloß mich jedoch, einem freigelassenen Sträfling, der die Dienste des Krankenwärters versah, einiges von der Sache anzuvertrauen. Dieser Mann, der für Geld alles getan hätte, verschaffte mir bald das, was ich brauchte.

Als ich die Lust äußerte, für einige Stunden nach der Stadt zu gehen, meinte er, das sei mit einer Verkleidung nicht unmöglich, da die Mauer höchstens acht Fuß hoch sei. Diesen Weg nähme man immer, sagte er, wenn er oder seine Kollegen eine Besorgung zu machen hätten. Wir machten aus, daß er mir Kleider verschaffen und mich bei meinem nächtlichen Ausflug begleiten würde. Der Ausflug sollte ein Nachtessen bei Weibern werden. Aber die einzigen Kleider, die er innerhalb des Spitals für mich hatte auftreiben können, waren für mich zu klein, und so mußte man diesen Plan fallen lassen.

So lagen die Dinge, als an meinem Bett eine der Schwestern des Hauses vorbeiging, die ich schon einigemal bei sehr

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_146.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)