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will wissen, welche Sünde ich büße, worauf ich ihm antworte: „O weh! Diese Neugierde! …“

Der gute Mann läßt sich das gesagt sein und fragt nicht weiter. Meine Lage war jedoch ziemlich peinlich. Ich wagte kaum zu essen aus Furcht, ich könnte meinen männlichen Appetit zeigen. Auch sagte ich oft „Herr Pfarrer“ anstatt „lieber Bruder“. Diese Zerstreutheiten hätten mich schließlich verraten, wenn ich mich nicht beeilt hätte, das Frühstück abzukürzen. Es gelang mir jedoch, genaue Auskunft über die Wege der Gegend zu erhalten. Versehen mit dem Segen des Pfarrers, der mir versprach, mich in seinen Gebeten nicht zu vergessen, machte ich mich auf den Weg. Jetzt war ich mit meiner neuen Kleidung schon bedeutend vertrauter.

Unterwegs begegneten mir nur wenige Leute. Durch die Kriege der Revolution war dieses arme Land entvölkert worden. Ich kam durch Dörfer, wo kein ganzes Haus mehr stand. Nachts erreichte ich einen aus wenigen Häusern bestehenden Weiler und klopfte an die Tür einer Hütte. Eine ältere Frau öffnete und führte mich in ein Zimmer, das ziemlich groß war, an Unsauberkeit aber den Wettstreit mit einer spanischen Provinz aufnehmen könnte. Die Familie bestand aus Vater, Mutter, einem Knaben und zwei Mädchen von fünfzehn und siebzehn Jahren. Als ich eintrat, war man gerade beim Backen von einer Art Krapfen aus Buchweizenmehl. Die ganze Familie war um die Pfanne gruppiert, und die Gestalten boten in der Rembrandtschen Beleuchtung des Herdes ein Bild, das ein Maler bewundert hätte. Ich, der ich keine Zeit hatte, auf Lichteffekte zu achten, hatte nur den Wunsch, etwas zu mir zu nehmen. Mit der ganzen Ehrfurcht, die mein Kostüm einflößte, servierte man mir die ersten Krapfen, und ich verschlang sie geradezu, ohne auch nur darauf zu achten, daß ich mir den Gaumen verbrennen könnte. Ich bin seit jener Zeit an den opulentesten Tafeln gewesen, man hat mich mit den erlesensten Weinen, den delikatesten und ausgesuchtesten Gerichten bewirtet,

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_149.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)