Seite:Landstreicherleben 164.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

lag ich mitten auf der Landstraße, splitternackt, mit Striemen und Blut bedeckt.

Was war zu machen? Zu Vater Lambert zurückkehren, hieß, sich neuen Gefahren aussetzen. Es war noch nicht spät in der Nacht. Obgleich ich von einem glühenden Fieber verzehrt wurde, so machte ich mich auf den Weg zu einem meiner Onkel nach Mareuil. Ich kam um zwei Uhr morgens an, erschöpft vor Müdigkeit und angetan lediglich mit einer zerfetzten Matte, die ich neben einem Sumpf gefunden hatte. Zuerst lachte man gründlich über mein Abenteuer, dann wurde mir der ganze Körper mit einer Mischung von Sahne und Öl eingerieben.

Nach acht Tagen war ich wieder hergestellt und reiste nach Arras ab. Ich durfte aber unmöglich da bleiben: jeden Augenblick konnte die Polizei meinen Aufenthalt erfahren. Ich machte mich daher auf den Weg nach Holland, mit der Absicht, mich dort niederzulassen; das Geld, das ich mitnahm, erlaubte mir, es abzuwarten, bis sich die Gelegenheit zu irgendeiner nützlichen Beschäftigung bot.

Ich kam über Brüssel und erfuhr dort, daß die Baronin von J… sich in London, Antwerpen und Breda aufgehalten habe. Dann schiffte ich mich nach Rotterdam ein. Man hatte mir die Adresse einer Herberge gesagt, wo ich absteigen könnte. Dort traf ich einen Franzosen, der sich mit mir sehr befreundete und mich einigemal zum Essen einlud; er versprach mir auch, mir eine gute Stellung zu verschaffen. Ich erwiderte sein Entgegenkommen mit großem Mißtrauen, denn ich wußte, daß dem holländischen Staate alle Mittel gut genug waren, um für seine Marine zu werben. Aber all meiner Zurückhaltung zum Trotz gelang es meinem neuen Freunde doch, mich mit einer besonderen Art von berauschendem Likör betrunken zu machen. Am nächsten Morgen erwachte ich auf der Reede an Bord eines holländischen Kriegsschiffes. Nun war kein Zweifel mehr: der Suff hatte mich den „Seelenverkäufern“ (Sel Verkaaf) ausgeliefert.

Empfohlene Zitierweise:
Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_164.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)