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Herberge empfehlen könnten. Ich hätte es nicht besser treffen können: der Jude und seine Frau hatten selbst eine solche Herberge. Sie boten mir auf der Stelle ein Obdach an, und ich ging mit ihnen in ihr Haus. In dem Raum, wo man mich einquartierte, standen sechs Betten; obwohl’s schon zehn Uhr war, war noch keins besetzt, ich schlief im festen Glauben ein, keine Schlafkameraden zu haben.

Als ich erwachte, hörte ich neben mir in Gaunerausdrücken reden, die mir wohl vertraut waren.

„Es ist schon siebenundeinhalb Pfund, und du pennst noch,“ sagte eine Stimme, die mir bekannt vorkam.

„Glaub’s schon; … wir haben heut’ nacht bei ’nem Goldschmied schränken wollen, aber der Sack war scharf bei Wache. Ich merkte gleich, man hätte Aß mit Zinken spielen müssen, und da wär rote Suppe geflossen!“

„Ach, du hast Angst vorm Kaiserschwipp … Na, aber auf die Art kann man kein Ding drehn.“

„Ich will lieber unterwegs einen Baum auf zwei Beinen anzapfen, als Buden aufzukasteln … man hat immer die Blauen auf’m Hals.“

„Also, ihr habt nicht gekappt … und da gab’s doch so schöne Dosen mit Uhren und Ketten aus Gold. Der Jude hätt’ schon rausrücken müssen.“

„Nein. Der Dietrich ist in der Knarre gebrochen. Der Bürger hat Lärm gemacht, wir haben türmen müssen.“

„He, ihr anderen da,“ rief ein dritter dazwischen, „laßt die Dinge nicht so lang werden, hier liegt einer, der horchen kann!“

Die Warnung kam zu spät: man verstummte. Ich schlug die Augen auf, um mir meine Schlafkameraden anzusehen, aber mein Bett stand niedriger als die andern, und ich konnte nichts sehen. Ich rührte mich nicht, damit man glaubte, ich schlafe. Als einer der Sprechenden aufstand, erkannte ich in ihm einen Flüchtling vom Bagno in Toulon, einen gewissen Neveu, der einige Tage vor mir ausgerissen war. Da springt sein Kamerad aus

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_206.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)