Seite:Landstreicherleben 219.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

man gewöhnlich sehr leicht; dazu genügt, daß der Paß nicht abgelaufen ist. Die Formalität ist vollzogen, und ich entferne mich; zwei Minuten später komme ich in das Büro zurück und frage, ob nicht ein Portefeuille gefunden worden sei … niemand weiß etwas davon, ich bin verzweifelt; dringende Geschäfte erwarten mich in Havre, ich müsse noch am selben Abend abreisen und nun habe ich keinen Paß mehr.

„Wenn’s sonst nichts ist …“ sagt ein Beamter zu mir. „Man kann ja nach dem Visierregister ein Duplikat von Ihrem Paß ausstellen.“

Das war ja gerade, was ich wollte; der Name Blondel war beibehalten, aber nun paßte auch das Signalement zu mir. Um den Effekt meiner List noch zu ergänzen, fuhr ich nicht nur nach Havre, sondern ließ sogar den Verlust eines Portefeuilles in die kleinen Anzeigen einrücken, eines Portefeuilles, das meine Hände verließ, um in die meiner Gefährtin zu wandern.

Dank diesem kleinen Einfall war nun meine Position gesichert. Mit ausgezeichneten Papieren versehen, konnte ich auf ein ehrliches Ende meines Lebens hoffen; ich dachte ernsthaft daran. Und so richtete ich mir einen Kurzwarenladen ein, der so gut ging, daß meine Mutter, die ich immer im laufenden über mich erhielt, zu uns ziehen wollte. Ein ganzes Jahr lang war ich wirklich glücklich; mein Geschäft gewann sicheren Boden, meine Beziehungen erweiterten sich, der Kredit nahm zu, und gar manches Bankhaus in Rouen kann sich der Zeit erinnern, als die Unterschrift „Blondel“ etwas galt. Nach all den Stürmen fühlte ich mich schließlich fast geborgen, als ein Ereignis, das ich nicht hätte voraussehen können, eine neue Unheilskette über mich warf … Die Kaufmannsfrau, mit der ich lebte, diese Frau, die mir die sichersten Beweise von Anhänglichkeit und Liebe gegeben hatte, konnte sich nicht enthalten, noch andere Flammen anzuzünden, als jene, die ich in ihrem Herzen entfachte. Ich hätte mich gerne selbst Lüge strafen mögen, aber der Beweis war nur zu schlagend; die Schuldige konnte nicht einmal

Empfohlene Zitierweise:
Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_219.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)