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„Und was hat diese Wasserratte von Sergeant hier zu suchen?“ Ich glaubte schon, er wollte uns schlagen.

„Vorwärts!“ fuhr er fort. „Ich sehe, du bist betrunken,“ sagte er zu Dufailli, „ein Schluck Schnaps ist verzeihlich, aber gehe gleich und lege dich schlafen, daß ich dich nicht mehr hier sehe.“

„Jawohl, Herr Kommandant,“ erwiderte Dufailli, und wir zogen ab.

Ich brauche wohl nicht erst zu sagen, was für ein Gewerbe die schöne Blondine betrieb; ich habe es deutlich genug gezeigt. Magdalene aus der Picardie war ein großgewachsenes, etwa dreiundzwanzigjähriges Frauenzimmer, die durch ihren frischen Teint ebenso wie durch die Schönheit ihrer Formen auffiel; sie machte sich einen Ruhm daraus, niemandem zu gehören und glaubte, aus Gewissenspflicht allein der Armee, und zwar der ganzen Armee zugleich dienen zu müssen: ob letzter Pfeifer oder kaiserlicher Marschall – alles was Uniform trug, wurde von ihr gleich gut aufgenommen. Dagegen verachtete sie alles, was nicht Militär war. Es gab keinen Bürger, der sich hätte rühmen können, je ihre Gunst genossen zu haben. Sie machte sich nicht einmal viel aus der Marine, die sie „Teerhintern“ nannte; sie schickte sie nach Belieben fort, denn sie konnte es nicht übers Herz bringen, sie als Soldaten zu behandeln: im Scherz pflegte sie zu sagen, sie brauche zwar die Marine zum Leben, aber die Armee zum Lieben. Dieses Mädchen, das ich später zu besuchen Gelegenheit hatte, war lange Zeit die Lust der ganzen Armee, ohne daß ihre Gesundheit Schaden litt; man hielt sie für reich. Entweder weil Magdalene nicht geldgierig war, oder weil das Geld ihr leicht durch die Finger rann, – sie starb 1812 im Spital zu Ardres, arm wie eine Kirchenmaus, aber den Fahnen treu; würde sie zwei Jahre länger gelebt haben, so hätte sie sich, ähnlich wie ein anderes Mädchen in Paris, nach der Niederlage von Waterloo die „Witwe der großen Armee“ nenne können.

Die Erinnerung an Magdalene lebt bis jetzt noch an allen

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_240.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)