Seite:Landstreicherleben 255.jpg

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wurden, fühlte ich mich von einer großen Last erleichtert. Endlich war ich, glaube ich, von diesem Vidocq befreit, der mir so viel schlimme Streiche gespielt hatte.

Indessen war ich noch nicht ganz beruhigt; Dufailli, der unser Obmann war, wußte ja meinen Namen. Das kam mir sehr ungelegen: um ihn nicht ewig fürchten zu müssen, beschloß ich, ihm durch ein falsches Geständnis den Mund zu stopfen. Unnütze Vorsicht! Ich rufe Dufailli, ich suche ihn, er ist nirgends da; ich gehe an Bord der „Revanche“, suche, rufe wieder, keine Antowrt; ich steige endlich in die Pulverkammer hinunter, kein Dufailli ist zu sehen! Wo steckt er? Ich steige schließlich in die Proviantkammer: neben einem Fäßchen Genever und einigen Flaschen finde ich da lang ausgestreckt seinen Körper: er ist’s. Ich schüttele ihn, ich wende ihn hin und her … er ist schwarz im Gesicht … er ist tot.

Das war das Ende meines Beschützers: ein Bluterguß ins Gehirn, ein Schlaganfall oder eine durch Trunksucht erzeugte Erstickung hatte seine Laufbahn beendet. Seitdem es Sergeanten der Marine gibt, gab es wohl keinen anderen, der mit soviel Ausdauer trank …

Ich kehrte nun an Bord der Brigg zurück, wo Paulet mich mit dem Prisenkapitän und fünf Mann der „Revanche“ zurückließ. Kaum hatten wir die Luken über unseren Gefangenen geschlossen, so waren wir auch schon an der Küste – wir wollten an der Küste entlang bis Boulogne fahren. Aber einige Kanonenschüsse, die die Engländer vor dem Entern abgefeuert hatten, hatten eine Fregatte auf uns aufmerksam gemacht. Mit vollen Segeln jagte sie auf uns zu, und bald war sie uns so nahe, daß ihre Kugeln uns beinah streiften; so folgte sie uns bis auf die Höhe von Calais. Da hier die See sehr bewegt war und ein heftiger Wind dem Ufer zuwehte, so glaubten wir, die Fregatte würde aus Furcht vor den Klippen zurückbleiben. Allein sie vermochte nicht mehr die Herrschaft über ihre Manöver zu gewinnen. Sie wurde an Land getrieben, und mußte gegen alle entfesselten

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_255.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)