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Elemente zugleich ankämpfen. Die Strandung war für sie noch die einzige Rettung. Im Nu befand sich die Fregatte unter dem Kreuzfeuer: von allen Seiten hagelten Bomben, Kugeln und Haubitzengranaten. Mitten im entsetzlichen Lärm und fürchterlichen Krachen vernimmt man verzweifelte Hilferufe, und die Fregatte sinkt, ohne daß man ihr Hilfe leisten könnte.

Eine Stunde später bricht der Tag an. Hie und da schwimmen in den Wogen die Trümmer. Ein Mann und eine Frau haben sich an einen Mast gebunden, sie winken mit einem Tuch; wir wollen gerade an das Cap Grenet steuern, als wir ihre Zeichen gewahren. Ich glaubte, wir könnten diese Unglücklichen retten; ich schlug dem Prisen-Kapitän vor, uns eine Schaluppe zur Verfügung zu stellen, allein er weigerte sich. In der Aufwallung eines mir bis dahin unbekannten Mitleids ließ ich mich zu der Drohung hinreißen, ich würde ihm den Schädel einschlagen.

„Bitte,“ antwortete er mit einem verächtlichen Lächeln und zuckte die Schultern, „Kapitän Paulet ist gewiß menschenfreundlicher als du; er hat sie gesehen und rührt sich nicht vom Fleck; man kann also nichts machen! Sie sind dort, wir hier, bei dem schlechten Wetter ist jeder sich selbst am nächsten. Wir haben oft genug solche Verluste; wenn’s nur Fleuriot allein wäre! …“

Die Antwort brachte mich zur Besinnung, und ich begriff, daß wir selbst in größerer Gefahr schwebten, als ich geglaubt hatte: in der Tat, die Wogen stiegen, der schrille Schrei der Seemöwen mischte sich ins Pfeifen des Windes; den Horizont, der sich immer mehr und mehr verdunkelte, überzogen lange schwarze und rote Fetzen; der Anblick des Himmels war grauenvoll: alles verkündete Sturm. Zum Glück hatte Paulet Zeit und Entfernung geschickt berechnet. Wir verfehlten die Einfahrt nach Boulogne, aber nicht weit von dort, in Portel, fanden wir Zuflucht und ein sicheres Wasser.

Beim Landen fanden wir am Ufer die beiden Unglücklichen, die ich so gerne gerettet hätte; die Ebbe hatte die leblosen Körper ans fremde Land geschwemmt, wo wir ihnen ein Grab bereiteten.

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 256. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_256.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)