Seite:Landstreicherleben 317.jpg

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zu werden, so daß wir uns vielleicht nicht so bald wiedersehen würden.

„Du kannst mich sehen, wenn du willst,“ sagte er darauf. „Bitte besuche mich doch.“ Ich versprach es ihm, und er gab mir seine Adresse, ohne nach der meinigen zu fragen.

Jeden Tag machte ich neue Entdeckungen. Die Gefängnisse füllten sich mit Personen, die lediglich durch mich aufgegriffen waren, und trotzdem hatte keiner auch nur im entferntesten die Idee, ich könnte der Angeber gewesen sein. Ich verstand es so einzurichten, daß von außen wie von innen alles gedeckt war.

Als ich eines Tages auf den äußeren Boulevards umherlief, stieß ich auf Saint-Germain; Boudin war wieder bei ihm. Sie luden mich zum Essen ein, ich nahm die Einladung an, und beim Dessert taten sie mir die Ehre an und machten mir den Vorschlag, als dritter an einem Raubmord teilzunehmen. Es handelte sich darum, zwei Greise, die mit Boudin in einem Hause in der Rue des Prouvaires wohnten, ins Jenseits zu befördern. Obwohl mir bei dem Vorschlag der beiden Lumpen recht übel wurde, so segnete ich doch das Schicksal, daß sie mir zugeführt hatte. Zuerst hatte ich gegen die Mittäterschaft scheinbar Bedenken, aber dann tat ich so, als ob ich mich von ihnen überzeugen ließe, und es wurde ausgemacht, daß man den günstigen Augenblick zur Ausführung der Tat abwarten sollte. Das war also abgemacht, und ich verabschiedete mich von Saint-Germain und seinem Freunde. Um dem Verbrechen zuvorzukommen, zögerte ich keinen Augenblick, Herrn Henry zu benachrichtigen. Dieser wollte nähere Auskunft erhalten und bestellte mich zu einer mündlichen Besprechung zu sich. Er wollte sich vergewissern, ob ich wirklich zur Tat aufgefordert worden sei, oder ob ich sie am Ende in übermäßigem Diensteifer selbst angestiftet habe.

„Bedenken Sie wohl,“ sagte Henry zu mir, „die größte Geißel der Gesellschaft ist der Provokateur. Ohne Anstifter würden nur die Starken Verbrechen begehen, denn nur die Starken erfassen das Verbrechen. Die Schwachen werden mitgerissen,

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 317. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_317.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)