Seite:Landstreicherleben 322.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

„Wie wäre es, wenn wir etwas tränken?“ sagt Saint-Germain.

„Famose Idee,“ rufe ich und springe auf. „Ich habe zu Hause einen Korb vorzüglicher Burgunder. Wenn Sie wollen, kann ich ihn holen lassen.“

Alle sind hocherfreut, und Saint-Germain schickt seinen Portier zu Annette, damit sie mit dem Wein herkomme. Man macht aus, ihr nichts zu erzählen, und während man sich auf meinen Wein freut, werfe ich mich wieder aufs Bett und kritzle mit einem Bleistift folgende Worte:

„Wenn du von hier fortgehst, verkleide dich und verlasse uns, das heißt Saint-Germain, Boudin und mich, nicht mehr. Aber hüte dich, erkannt zu werden, ferner hebe alles auf, was ich fallen lasse, und bringe es hin.“

Dieser kurze Hinweis genügte: Annette hatte bereits ähnliche erhalten; ich wußte, daß sie den Sinn verstehen würde.

Bald erschien Annette mit dem Korb Wein. Ihr Erscheinen machte alle wieder munter; alle machten ihr Komplimente. Was mich anbetrifft, so küßte ich sie erst beim Weggehen und steckte ihr dabei den Zettel zu. Wir nahmen nun ein opulentes Mahl ein, und dann erbot ich mich, mit Saint-Germain das Terrain zu besichtigen, um auf alle Fälle gesichert zu sein. Die Vorsicht war nur natürlich, und Saint-Germain wunderte sich nicht darüber; aber ich hatte vorgeschlagen, einen Wagen zu nehmen, Saint-Germain hielt’s für richtiger, zu Fuß zu gehen. An Ort und Stelle angelangt, merkte ich mir genau die Gegend, damit ich sie leicht wieder angeben konnte. Dann sagte Saint-Germain, wir müßten schwarzen Krepp kaufen, um uns das Gesicht zu verhüllen. Wir gingen ins Palais Royal, und während er in einen Laden tritt, schütze ich ein Bedürfnis vor und schließe mich in einem Klosett ein. Dort habe ich Zeit genug, um alle Angaben aufzuschreiben, vermittels deren die Polizei das Verbrechen verhüten könnte.

Saint-Germain, der mich immer möglichst im Auge behielt,

Empfohlene Zitierweise:
Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_322.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)