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fort. „Ich habe schon viel durchgemacht. Ich heiße Germain, auch Kapitän genannt. Sie haben diesen Namen wohl schon gehört?“

„O ja, mein Freund,“ antwortete sie, „freilich kenne ich Sie. Ach, mein Gott, mein Sohn und seine Freunde haben mir schon genug von ihrem Unglück erzählt. Seien Sie willkommen, mein lieber Kapitän. Großer Gott, wie sehen Sie aus! Sie dürfen nicht länger so bleiben. Ich glaube sogar, Sie werden vom Ungeziefer geplagt. Warten Sie, ich bringe Ihnen frische Wäsche, ich will auch für anständige Kleidung sorgen.“

Ich danke Frau Noël tausendmal. Ganz nebenbei fragte ich sie während der Unterhaltung, was aus Victor Desbois und seinem Kameraden Mongenet geworden sei.

„Desbois und Tambour! Ach, mein Lieber, sprechen wir nicht davon,“ rief sie, „dieser Hund von Vidocq hat ihnen hart mitgespielt. Seitdem ein gewisser Joseph, den sie zweimal im Quartier getroffen haben (Joseph Longueville, ehemaliger Polizeiinspektor), ihnen mitgeteilt hat, daß es hier gefährlich sei, haben sie das Feld geräumt.“

„Was! Sie sind nicht mehr in Paris!“ rief ich einigermaßen enttäuscht.

„Oh, sie sind nicht weit von hier,“ entgegnete Frau Noël. „Sie befinden sich in der Umgegend. Ich habe das Vergnügen, sie ab und zu von fern zu sehen. Ich hoffe, daß sie mir recht bald einen Besuch abstatten werden. Sie werden gewiß sehr froh sein, Sie hier zu treffen.“

„Ach!“ sagte ich, „sie werden sich gewiß nicht mehr freuen als ich. Wenn Sie ihnen schreiben könnten, daß ich hier bin, so würden sie sich gewiß beeilen, zu kommen.“

„Wenn ich nur wüßte, so sie stecken,“ meinte Frau Noël, „würde ich selbst zu ihnen gehen, um ihnen das Vergnügen zu bereiten. Aber ich kenne ihren Zufluchtsort nicht, und so bleibt uns nichts Besseres übrig, als uns mit Geduld zu wappnen und abzuwarten.“


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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_347.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)