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Ich glaube außerdem, daß Coco früh Waise wurde. Aber so viel ist wenigstens gewiß, daß er sozusagen auf dem Schoß der Nachbarinnen, der Huren und Modistinnen von Paris Royal aufwuchs. Sie fanden ihn niedlich, überhäuften ihn mit Süßigkeiten und Liebkosungen und brachten ihm zugleich auch das bei, was sie „Schmiß“ nannten. So sorgten diese Damen für seine Kindheit, überall schleppten sie ihn mit: er war ihre Erholung, ihr Spielzeug; ließen ihnen ihre Amtspflichten keine Zeit für dieses unschuldige Spielzeug, so trieb sich klein Coco in dem Garten des Palais Royal herum und mische sich unter die Tagediebe, die, zwischen Lutschpfropfen und Kreisel, die Vorschule des Verbrechens sind. Es ist überflüssig, zu sagen, welcher Art die Fortschritte waren, die Coco machte, – Coco, der von Dirnen erzogen und von Verbrecherlehrlingen unterrichtet wurde. Sein Lebensweg war voller Klippen.

Endlich nahm ihn eine Frau, die sich wahrscheinlich zu seiner Rettung berufen fühlte, zu sich. Das war die Dame Maréchal, die auf der Place des Italiens ein Bordell hielt. Dort wurde Coco zwar sehr gut genährt, aber Entgegenkommen war die einzige moralische Eigenschaft, die seine Wirtin in ihm entwickelte. Er wurde auch entgegenkommend: er war entgegenkommend gegen jedermann, er paßte sich den Bedürfnissen des Etablissements an, mit dessen Einzelheiten er aufs genaueste vertraut war.

Der junge Lacour hatte bestimmte Ausgehtage und -stunden, und er wußte sie, wie es scheint, gut zu benützen, denn noch während seines Aufenthalts bei Madame Maréchal war er als einer der geschicktesten Spitzendiebe bekannt, und kurze Zeit darauf brachten ihm rasch aufeinander folgende Verhaftungen den Ruf eines erstklassigen Hochnehmers ein. Die vier, fünf Jahre Bicêtre, wo er auf administrativen Befehl als gefährlicher und unverbesserlicher Dieb eingeschlossen war, machten ihn nicht besser. Aber da lernte er wenigstens das Handwerk des Strumpfstrickers und erhielt einige Bildung. Einschmeichelnd, geschmeidig, mit einer sanften Stimme und weiblichem, wenn auch nicht

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Eugène François Vidocq: Landstreicherleben, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Landstreicherleben_369.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)