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Ernst Ludwig Leithiger: Das Vogelsberger Rind und seine Zucht

von Faseltieren[WS 1] neueren Rasse zu verdrängen. So haben große Gebiete neue Viehrassen bekommen, die der Landwirtschaft nicht zum Nachteil sein werden, wenn die neue Heimat in Bezug auf Klima, Boden- und wirtschaftliche Verhältnisse der alten Heimat möglichst ähnlich ist. Wo aber die neue Heimat in dieser Beziehung abweicht, wo man anderseits nicht in der Lage ist, die Haltungsverhältnisse so zu gestalten, wie sie das betreffende Tier in seiner Heimat gewohnt war, da drängen die Natur, unter Umständen auch die Züchtungs- und Haltungsverhältnisse die Rasse zu Abänderungen. Die Abänderungen bestehen aber nicht in Verbesserungen, sondern in Verschlechterungen, die Rasse geht zurück, sie degeneriert. Diese Degeneration kann alle Eigenschaften des Tieres betreffen: die Größe, die Formen der verschiedenen Teile des Körpers, die Stellung der Gliedmaßen, die Bildung des Kopfes, die Haut und vor allem auch die Leistungsfähigkeit. Ich habe wahrgenommen, daß z.B. Simmenthaler Vieh in 3 Generationen so degeneriert war, daß von den Eigenschaften des edlen Simmenthaler Rindes nur noch die Farbe der Haut und Schleimhäute übrig geblieben war. Will man dann eine solche Rasse, die man unter Lebensbedingungen gebracht hat, die von denjenigen der ursprünglichen Heimat mehr oder weniger abweichen, auf seiner Leistungsfähigkeit erhalten, sollen Größe und Formen nicht zurückgehen, so muß fortgesetzt Blut aus der ursprünglichen Heimat der neuen Rasse zugeführt werden. Das neue Zuchtgebiet bleibt vielleicht immer, bestenfalls Jahrzehnte lang abhängig von dem Heimatzuchtgebiet. In wirtschaftlicher Beziehung ist eine solche Abhängigkeit entschieden als ein großer Nachteil zu betrachten und es sollten sich daher Gegenden, die noch einen ausgesprochenen Landschlag haben, sehr reiflich überlegen, ob die Einfuhr fremden Blutes zur Hebung der Viehzucht von den erhofften Vorteilen begleitet sein wird.

Es ist eine weitere, sehr häufig beobachtete Erscheinung, daß bei Tiergattungen, auch bei Rassen und Schlägen, die in


  1. Faselvieh: zur Zucht bestimmtes Vieh (Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 2, Leipzig 1796, S. 51, Stichwort Faselvieh)
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Ernst Ludwig Leithiger: Das Vogelsberger Rind und seine Zucht. Emil Roth, Gießen 1896, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Leithiger_-_Vogelsberger_Rind.pdf/13&oldid=- (Version vom 18.8.2016)