Seite:Leo Originalität 09.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

ihres Nachfahren Holberg. Plautus und Terenz waren ihm vertraut; dazu brachte er aus Frankreich und Italien die Stoffe des romanischen Lustspiels in seine nordische Heimath. Er behielt die Motive und Erfindungen der Vorgänger in Menge bei, auch die von ihnen ausgeprägten Charaktere finden sich wieder, aber Geist und Lebensluft seines Lustspiels sind dänisch, das städtische und ländliche Kleinleben, die Gestalten aus dem Bürgerhause und vom Bauernhofe. So gab er seinem Volk mit einem Schlage ein nationales Lustspiel als Grundstock einer eigenen Litteratur. Plautus dagegen überträgt das Stück eines attischen Dichters mit Costüm und Schauplatz, Personen und Sitten, nur dass er Elemente römischen Lebens und römischer Denkweise aufs freieste einströmen lässt; stofflich oft sehr willkürlich und zum Schaden der Kunstform, indem er ein paar Stücke in einander arbeitet und die Absichten des Dichters oder der Dichter verdunkelt, ohne ein neues in sich ruhendes Gebilde zu schaffen. Diese Gleichgiltigkeit gegen die feine attische Form hat ihren guten Grund, denn in der That wollte er eine neue Spielart der Komödie, ein Singspiel im neueren hellenistischen Stil, an die Stelle des recitirenden Lustspiels setzen und wenigstens die theatralische Form der Komödie weiter bilden. Terenz dagegen ist, soweit es die gefestigte Gewohnheit der Bühne gestattete, wieder zur recitirenden Form Menanders zurückgekehrt und hat die Reinheit des attischen Tones wenigstens insoweit wieder hergestellt, dass er die Anklänge an römisches Leben verstummen liess.

In der nun folgenden Zeit, dem Jahrhundert der Revolution und der inneren Kämpfe bis zum Untergang der Republik, einer Zeit, die trotz der schrecklichsten politischen Zerfahrenheit doch die Bande, mit denen der römische Staat die hellenistische Welt umklammerte, nur immer fester zog, in dieser Zeit vollendete sich die griechisch-römische Kultur; die griechische Sprache, Kunst und Wissenschaften waren in den höheren römischen Bildungsschichten so heimisch geworden wie daheim; sie wirkten nun produktiv in neuer Weise, in innerer Verbindung mit dem römischen Geiste. So vollzog sich die Entwickelung der römischen Litteratur, auf die schon Plautus hinweist, von der ein dunkles Streben nach nationaler Selbständigkeit vor und nach ihm abgelenkt hatte, in der die Zukunft der römischen Produktion beschlossen war.

Man kann es vielleicht so ausdrücken, dass die Nachahmung durch die Nachfolge ersetzt wurde. Nachahmen und Nachmachen gab es auch ferner, das Uebersetzen aus dem Griechischen galt noch lange als vornehme Kunst; aber im allgemeinen wurde es eine Nachfolge.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Leo: Die Originalität der römischen Litteratur. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1904, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Leo_Originalit%C3%A4t_09.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)