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„Chacun son tour“ daran. Das ist der dicke Angriff des dicken Karls, Charles Humbert, des ehemaligen Senators, der sich dafür rächt, daß Poincaré ihn einmal vors Kriegsgericht geschleift hat. Was ich bis jetzt zu mir genommen habe, ist so munter, daß man sich voller Freuden nach dem nächsten Krieg sehnt. Also so sieht es hinter den Kulissen der Fronten aus! Geschäfte, Spionage, Gegenspionage, Intriguen, daß die Akten wackeln; du hast gewußt, daß sie eine Spionin ist, wir haben nicht gewußt, daß du einer bist, ihr habt nicht wissen können, daß er einer gewesen sein muß. Allmächtiger Himmel! Bolo war offenbar wirklich einer, vielleicht weiß darüber der Oberst Nicolai besser Bescheid als ich. Und man ahnt bei diesem Geschäft nie, wo das Geschäft aufhört und wo der Kintopp anfängt. Da haben sie mutmaßlich – so stehts bei Humbert mit viel Dokumenten dafür und dagegen – die kleinen Anzeigen des „Journal“ dazu ausgenutzt, dem deutschen Nachrichtendienst in der Schweiz nützliche Winke zu geben. Die Rubrik „Pour se retrouver“ war für die Flüchtlinge aus den besetzten Provinzen ein gutes Mittel, um die Familienmitglieder wieder zusammenzuholen, und das soll nach den Behauptungen des französischen Generalstabs zu Spionagezwecken verwendet worden sein. Also etwa so:

„Franz ist gesund. Georgette ist in Valmy, Mama in St. Quentin, angekommen am 8. 3. mit viel Mobiliar.“

Jeder geübte Spion sieht sofort, daß das nur heißen kann:

„Schwere Artillerie im Anmarsch. Bei Valmy nichts Neues, Ablösung in St. Quentin. Das VIII. Armeekorps ist mit drei Divisionen und Tanks angriffsfertig.“

Ja, heute lachen wir darüber. Aber als die Humbertschen Geschichten spielten, war der allgemeine Geisteszustand mehr zum Weinen, und es soll ja heute noch in allen Ländern Europas

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Kurt Tucholsky: Lerne lachen ohne zu weinen. Ernst Rowohlt, Berlin 1932, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lerne_lachen_ohne_zu_weinen_016.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)