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Mund war – das bringt uns Deutschen den Courteline so nahe. Ich habe „Boubouroche“ in der „Comédie Française“ gesehen und habe auf die Bühne springen wollen, um den Leuten zu sagen, wie man das spielt. Also fühlen wir es anders, also legen wir in diese Vase andre Blumen hinein – und wenn sie tausendmal nicht auf französischem Boden gewachsen sind: Victor Arnold hat den Boubouroche gespielt, und da wollen wir eine kleine Minute Schweigen einlegen.

Ja, Courteline. Alles, was ich von ihm weiß, entspricht genau seinem Wappenspruch. Er war unneugierig, er schrieb nicht sehr viel, man durfte ihn, wenn man will, getrost faul nennen – aber das, was er gemacht hat, ist voll von Leben. Und bei allem Gefühl für das nötige Pathos, das um eine Geburt, um einen Schicksalsschlag, um Geld und um den Tod ist, er ist so schön pathoslos. Es ist nicht die flaue und billige Überlegenheit des Spießers – es ist die echteste Überlegenheit des großen Künstlers.

Sie malen und malen. Sie dichten, komponieren, schmieren Papier voll und streiten sich um Richtungen, das muß sein. Sie sind expressionistisch und supranaturalistisch; sie sitzen neben dicken Damen auf dem Sofa, kriegen plötzlich lyrische Kalbsaugen und sprechen mit geziertem Mündchen, sie sind feige und lassen sich verleugnen oder lügen telephonisch; sie dirigieren Sinfonien und fangen einen kleinen Weltkrieg an, und sie haben für alles eine Terminologie. Welche Aufregung –! Welcher Eifer –! Welcher Trubel –! Horch: sie leben.

Du aber, Georges Courteline, sitzt wie ein Buddha, eine Handbreit über der Erde, die du so genau kennst, träumst Tarock und hörst schläfrig aus dem Nebenraum des kleinen Cafés die Billardkugeln klappern. Zu Hause wartet deine Frau – die gute. Es ist spät, nun wirst du bald heimgehen.

Empfohlene Zitierweise:
Kurt Tucholsky: Lerne lachen ohne zu weinen. Ernst Rowohlt, Berlin 1932, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lerne_lachen_ohne_zu_weinen_160.jpg&oldid=- (Version vom 4.2.2024)