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kindlich, wie es in diesen Romanen geschrieben steht, geht es bei ihnen denn doch nicht her.

Früher haben sich die Romanhelden nicht gewaschen – das zu erwähnen, galt als unpoetisch. Heute machen sie uns vor, wie sie ihr Geld ausgeben; wie sie es verdienen, wird leider nicht gesagt. Es sind Helden von des kleinen Sankt Moritz Gnaden, zweidimensionale Filmfiguren, die immerzu in Autos steigen und sich ihre Zigaretten nachdenklich auf der goldenen Zigarettendose zurechtklopfen, gutgebügelte Herren, bei denen man nur zu sehen bekommt, daß … aber nie zu sehen bekommt, wie … flächige Lebewesen aus Pappkarton geschnitten. Balzac ließ seine Puppen sämtliche Geschäfte machen, die zu gutem Ende zu führen ihm versagt war. Unsre Romanfabrikanten führen ihre Geschäfte zu gutem Ende, indem sie schlechte Romane teuer verkaufen. Und so gibt es viele literarische Geschäftsleute, aber es gibt – mit Ausnahme der „Weißen Rose“ von B. Traven – keinen Geschäftsmann in der Literatur.



Gesunde und kranke Nerven

Versuchen wir die drei großen Systeme: Freud – Adler – Jung möglichst kurz in ihrem innern Wesen (nicht in ihren ausgesprochenen Lehren) zu fassen, so könnte man vielleicht sagen:

In Freuds Forschungsarbeit spürt man überall den heißen Atem der Großstadt. Die Überhelle, die blendende Dialektik gehört dazu. Ein die andern nicht ruhenlassender, selbst nie ruhender Großstadt-Faust.

In der Adlerschen Schule ist überall Kleinstadt; jeder sieht dem Nachbar in die Fenster und kontrolliert eifersüchtig dessen Lebensstandard – wobei die Geltung bei dem andern das

Empfohlene Zitierweise:
Kurt Tucholsky: Lerne lachen ohne zu weinen. Ernst Rowohlt, Berlin 1932, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lerne_lachen_ohne_zu_weinen_178.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)