Seite:Lerne lachen ohne zu weinen 206.jpg

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einmal mit Erlaubnis meiner lieben Eltern besuchen durfte, da gestand er mir, daß er auch singen könnte. Los, sagte ich. Nein, sagte er, du lachst mich bloß aus. Los, sagte ich. Nein, sagte er. Hin … her … er schloß die Tür ab und sang. Ich werde das nie vergessen.

Wo ist denn mein klein Feinsliebchen fein

sang er und:

Junge Rose, warum gar so traurig?

und

… dem ich als Gärtnersfrau die Treue brach –

und viele andre schöne Lieder. Die Krone aber hatte er sich bis zuletzt aufgespart. Es sei ein wiener Lied, sagte er, und schloß die Tür noch einmal ab. „Aber den österreichischen Dialekt kann ich nicht so nachmachen … doch … na, du wirst ja hören … Ich kann es schon ganz gut!“ Und dann fing er an.

„Beim Henrigen – beim Henrigen –
da –“

„Wie?“ sagte ich. Er begann von neuem.

„Beim Henrigen – beim Henrigen –
da –“

„Erlaube mal“, sagte ich. „Wenn du mich immer unterbrichst, hau ich dir die Gitarre auf den Kopf“, sagte er. „Na, aber …“ sagte ich. „Was ist Henriger?“ – „Das ist … ich weiß auch nicht recht … das ist so ein Wein … eine Art Wein …“ – „Du Ochse!“ sagte ich. „Es steht im Liederbuch!“ sagte er. „Zeig mal her!“ sagte ich. Und dann kam es heraus, und es gab einen Mordskrach, und an diesem Tage spielten sie nicht weiter.

An diesen verdruckten Heurigen muß ich immer denken, wenn ich so lese, wie sich manche meiner Kollegen in ihren

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Kurt Tucholsky: Lerne lachen ohne zu weinen. Ernst Rowohlt, Berlin 1932, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lerne_lachen_ohne_zu_weinen_206.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)