Seite:Lerne lachen ohne zu weinen 213.jpg

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Wenn die Bäume alt werden, schlingt sich Efeu um die Äste. In besonders schlimmen Fällen sind es Moos oder andre Parasiten, die Saft und Kraft aus den alten Bäumen ziehen – ohne sie vergingen die Schmarotzer. Die halbe Literatur „bearbeitet“, „überträgt“, „richtet ein“ – es gibt da eine schöne Terminologie, um die eigne Einfallslosigkeit zu übertünchen. Wenn man das so alles mit ansieht, kommt man sich reichlich töricht vor, daß man sich seinen Kram noch allein ausdenkt. „Die andern haben schon – wozu sollen wir nochmal?“

Die Technik dieser Nachfühler ist, in den guten Fällen, unmerklich raffiniert. Sie kriechen in das Vorbild, saugen es ganz auf und schmücken sich mit fremder Kraft.

Das fängt bei den Biographien an. Der Biograph läßt fremde Muskeln schwellen. Und wenn er eine Weile damit herumgelaufen ist, dann macht er uns glauben, es seien seine eignen. Er beginnt, uns den großen Mann verständlich zu machen, was meistens auf Konto des Beschriebenen vor sich geht, und zum Schluß verwechselt der eingeschläferte Leser den Beschriebenen und den Beschreibenden. Damit es keine Mißverständnisse gibt: ich finde diesen Trick nicht in den Ludwigschen Biographien, aber in sehr vielen andern, besonders bei Stephan Zweig. Es ist da eine Schwäche, die sich als Stärke gibt, jener nicht unähnlich, mit der unfähige Dramatiker ihren Helden einen genialen Maler sein lassen; sie habens dann leichter. Aber dieser Fall ist noch harmlos gegen die Bearbeiter.

Es ist bei der Bearbeitung eines alten Stücks sehr schwer zu kontrollieren, was vom Verfasser und was vom Bearbeiter stammt. Der Fall Shakespeare gehört nicht hierher; erstens waren damals die Auffassungen vom geistigen Eigentum nicht lax, sondern kaum ausgebildet, und zweitens hat der nun

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Kurt Tucholsky: Lerne lachen ohne zu weinen. Ernst Rowohlt, Berlin 1932, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lerne_lachen_ohne_zu_weinen_213.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)