Seite:Lerne lachen ohne zu weinen 238.jpg

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eines Gebäudes besser übersehen, wenn der Bau noch nicht vollendet ist und offen liegt.

Da war also bei den römischen Truppen Kaiserbesuch angesagt. Man kennt die ewige Melodie der Weltgeschichte: erst Hofhunde züchten, dann sie fürchten und ihnen dann gut zu fressen geben, damit sie jene beißen, die auch Futter haben wollen. Das ist immer so gewesen – ob das nun Hitler-Trupps sind oder reguläre Heere. Der römische Kaiser also hatte die Truppe antreten lassen: er wollte eine feierliche donatio vornehmen, die Herren Soldaten Mann für Mann beschenken, denn dergleichen ist gut für den Patriotismus. Die Soldaten hatten sich herausgeputzt; sie trugen Lorbeerkränze, was ungefähr den frühern Helmpuscheln entspricht … und da standen sie. Einer aber, erzählt Tertullian, trug keinen Kranz. „Warum trägst du keinen Kranz?“ fragte der Centurio. „Ich trage keinen Kranz“, sagte der Soldat, „weil ich ein Christ bin.“ – „Und?“ – „Ein Christ darf keinen Kranz tragen.“ Dann wird es wahrscheinlich das übliche Hin und Her gegeben haben: „Ich gebe Ihnen den dienstlichen Befehl –“, und das arme uniformierte Luder, das zwischen zwei fixen Ideen, der des Patriotismus und der des Christentums, hin und her schwankte wie Bileams Esel, verweigerte den Gehorsam. Man mußte ihn fortschaffen, und was dann weiter aus ihm geworden ist, weiß man nicht.

Warum aber hatte er sich geweigert, einen Kranz aufzusetzen?

Die junge Sekte der Christen hatte zwei Wege zur Auswahl: alle heidnischen religiösen Gebräuche mitzumachen, die nicht unmittelbar auf Götterverehrung abzielten, oder aber alles zu verpönen, was überhaupt nach heidnischer Religion aussah – liberal zu sein oder orthodox. Sie schwankte. Tertullian, der in seinem Leben in manchen Lagern gestanden

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Kurt Tucholsky: Lerne lachen ohne zu weinen. Ernst Rowohlt, Berlin 1932, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lerne_lachen_ohne_zu_weinen_238.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)