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„Die eine Partei hat recht. Und die andre Partei hat auch recht.“ Sie haben ja alle so recht … Solche Beweise sind das.

Kinder dürfen nicht abgetrieben werden. Die Ehe ist unlöslich. Wo steht das? Wir alle weisen, wenn wir gar nicht mehr weiter wissen, auf sittliche Gesetze hin, die nicht mehr auf andre zurückführbar sind. Sie besagen im Grunde gar nichts: sie zeigen nur unser Gefühl an und die Richtung unsres Willens. Nun, dieser Wille, der hier geäußert wird, ist sozial höchst verderblich und abzulehnen – und nur darauf kommt es an.

Ich habe manche Bedenken gegen die Freidenker geäußert; im Augenblick aber, wo es um den politischen Kampf geht, wird man mich immer an ihrer Seite finden, wenn auch ihre Begründungen, die sie sich und andern geben, manchmal reichlich simpel sind. Aber ihr Ziel ist gut, und das Ziel der Kirche, wie es sich in dieser Encyklika offenbart, ist es mitnichten.

Eine Proletarierfrau zur Brutmaschine zu machen, ist eine Roheit – dazu brauchen wir gar nicht erst den lieben Gott zu bemühen. Diese scheinbar sittliche, in Wahrheit aber tief unsittliche Forderung so zu umkleiden, daß man bei dieser Gelegenheit die Reichen sanft auffordert, sie möchten doch etwas für die Armen tun, ist Bilderbuchethik. Die Reichen werden, wenns gut geht, beten und den Armen etwas husten. Inzwischen wimmelt das in den Slums aller Länder, die Kniee der glücklichen Mütter werden von Geschöpfen umspielt, die später in den Kohlenbergwerken oder in den Ackergräben für den Profit der andern verrecken dürfen … aber: es ist nicht abgetrieben worden. Der Kranz, der Kranz ist gerettet.

Wo steht geschrieben, daß das so sein muß?

Fassungslos das Erstaunen der Katholiken, daß jemand außerhalb ihrer Welt leben kann und gut dabei gedeiht. Rührend

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Kurt Tucholsky: Lerne lachen ohne zu weinen. Ernst Rowohlt, Berlin 1932, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lerne_lachen_ohne_zu_weinen_241.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)