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Walther Kabel: Leuchtturmtragödien ( Illustrierter Deutscher Flotten-Kalender, 16. Jahrgang)

Leuchtturmtragödien.
Von W. Kabel. – Mit 2 Abbildungen von Fritz Bergen.

In Herbst des Jahres 1882 wüteten in der Nordsee wochenlang ungeheure Stürme, die nicht nur einer Unzahl von Schiffen den Untergang brachten, sondern auch den Besatzungen der auf der festländischen Nordseeküste verteilten Leuchttürme insofern gefährlich wurden, als es längere Zeit unmöglich war, jenen von der Außenwelt völlig abgeschnittenen Männern neuen Proviant zuzuführen.

Am schrecklichsten war das Schicksal der drei Wärter auf der Ostspitze der holländischen Insel Vlieland stehenden Leuchtturmes, der aus Steinquadern im Jahre 1830 aufgeführt und mit höchst primitiven Einrichtungen versehen, vielleicht zu den ungemütlichsten Posten dieser Art gehörte. Die Besatzung sollte vorschriftsmäßig am 12. Oktober 1882 abgelöst und gleichzeitig sollte der Nahrungsmittel- und Trinkwasservorrat ergänzt werden; aber schon am 9. setzte diese Sturmperiode ein, die dann nur mit wenigen kurzen Unterbrechungen bis zum 20. November anhielt.

Da die See derart hoch ging, daß das Ablösungsboot den Hafenort Harlingen nicht verlassen konnte, beschloß das Hafenamt, zunächst auf besseres Wetter zu warten. Man hoffte eben, daß der Orkan bald ausgetobt haben würde. Aber drei Wochen vergingen, ohne daß die Wetterlage sich wesentlich änderte.

Jetzt mußte unbedingt ein Versuch gemacht werden, bis zu dem Leuchtturm vorzudringen. Man befürchtete, die eingeschlossene Besatzung würde sonst durch Hunger und Durst umkommen. Am 1. November verließ der Lotsenkutter Harlingen und kreuzte gegen Vlieland auf. Zwei Tage später kehrte er zurück mit der traurigen Nachricht, daß alle Anstrengungen, durch die Brandung bis an den Turm heranzugelangen, gescheitert seien. Zwar habe man zwei der Wärter auf der Galerie stehen und winken sehen, eine Verständigung mit ihnen sei nicht möglich gewesen.

Der Umstand, daß nur zwei von den drei Leuten der Besatzung sich gezeigt hatten, ließ vermuten, daß der dritte zum mindesten bereits schwer krank daniederlag. Es wurde daher schon am folgenden Tage der Kutter abermals ausgeschickt. Er sollte auf jeden Fall zusehen, sich wenigstens mit den Eingeschlossenen durch Signale in Verbindung zu setzen. Auch dieser Versuch mißlang. Der Kutter kenterte in der haushohen Brandung, die Lotsen fanden trotz der Schwimmwesten den Tod in der Brandung und wurden erst nach Wochen als Leichen ans Land gespült.

Was war nun in dem Leuchtturm selbst vorgefallen? Hierüber gibt ein Bericht, der Mitte Dezember 1882 in einer Amsterdamer Zeitung erschien und dessen Einzelheiten dem Tagebuche des Oberwärters des Leuchtturms Pieter Vjelmeling entnommen waren, genauen Aufschluß. Bis zum 25. Oktober reichte der Reserveproviant, der nur in dringenden Notfällen angegriffen werden sollte, für die drei Männer einigermaßen aus. Nur das Trinkwasser war bereits früher knapp geworden, obwohl die Rationen von Tag zu Tag kleiner bemessen wurden. Darauf begannen für die Unglücklichen jene furchtbaren Leiden, denen sie sämtlich erliegen sollten. Am 28. hatte der

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Leuchtturmtragödien ( Illustrierter Deutscher Flotten-Kalender für 1916, 16. Jahrgang). Wilhelm Köhler, Minden 1915, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Leuchtturmtrag%C3%B6dien.pdf/2&oldid=- (Version vom 1.8.2018)