Ukraine und Rußland
Am 22. Februar 1914 schrieb das nationalistische russische Blatt „Kiewlanin“:
„Die Ukrainerbewegung ist für Rußland gefährlicher als alle übrigen nationalen Bewegungen zusammengenommen. Wir sind verpflichtet, die Einheit und Untrennbarkeit des russischen Volkes, wie jene des Staates zu wahren. Dieser unserer Staatszitadelle droht aber einzig und allein die Ukrainerbewegung, und daher erscheint diese als die größte nationale Staatsgefahr.“
Das chauvinistische russische Blatt hat mit diesen Worten nur diejenigen Ansichten wiedergegeben, von welchen die russischen Staatsmänner und die russische Bureaukratie seit je beherrscht waren. Kein anderes Volk des russischen Reiches wurde auch so blutig und rücksichtslos verfolgt wie eben das ukrainische. Bereits der Zar Peter der Große hat im Jahre 1720 die ukrainische Sprache als Literatursprache verboten. Die Zarin Katharina II. hat die ukrainische Sprache aus dem Gebrauch im öffentlichen Leben verbannt und mit schwersten Gewaltmitteln die Autonomie der Ukraine zugrunde gerichtet. Sogar das Wort Ukraine wurde verpönt und das Land in „Klein-Rußland“ umgetauft. Die blutige Verfolgung des ukrainischen Volkes, seiner Literatur und Sprache zieht sich auch wie ein roter Faden durch die ganze russische Geschichte seit Peter I. bis auf die neueste Zeit. Der größte Dichter der wiedererwachten Ukraine, Taras Schewtschenko, hat seine besten Jahre
Eugen Lewicky: Die Ukraine der Lebensnerv Rußlands (= Ernst Jäckh (Hg.): Der Deutsche Krieg, 33). Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart u. Berlin 1915, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lewicky_Die_Ukraine_1915.pdf/4&oldid=- (Version vom 24.2.2022)