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die erste Kodifizierung des öffentlichen und Privatrechtes sowie die Vervollständigung der staatlichen Organisation zu verdanken haben. Mit den Griechen, welche zur Vermittlung des Handelsverkehrs an der ukrainischen Küste des Schwarzen Meeres wichtige Kolonien, wie z. B. Tiras, Olvia und Cherson, gründeten, wurden die ersten internationalen Handelsverträge geschlossen, die dazu beitrugen, daß der Handelsverkehr von Kijiw aus sich immer mehr nach dem Balkan und Asien erweiterte und bereits im 11. Jahrhundert ganz feste Formen annahm. Fürst Swiatoslav, der Vater Wladimirs des Großen, besetzte sogar auf einige Zeit die bulgarischen Gebiete, und die Macht der ukrainischen Staaten im Osten und Südosten Europas ging so weit, daß das Schwarze Meer nach der damaligen lateinischen Bezeichnung „Mare Ruthenum“ genannt wurde. Allein die ersten Einfälle wilder asiatischer Horden, der Kumanen und Petschenegen, welche in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts fallen, störte den weiteren Aufschwung Kijiws und brachte es mit sich, daß die Metropole des ukrainischen kulturellen und staatlichen Lebens im Laufe des 12. Jahrhunderts mehr nach Westen, vom Dniprstrom in das Gebiet des Dnistrflusses[1] verlegt werden mußte. Allein auch diese durch ungünstige internationale Verhältnisse aufgezwungene Kräfteverschiebung vermochte bei weitem nicht die staatliche Selbständigkeit der ukrainischen Länder mit einem Schlage zu vernichten. In Halitsch, der Residenz des Halitscher Fürsten Danilo, lebte die Macht und der Glanz der ukrainischen Unabhängigkeit wieder auf. Danilo selbst erfreute sich eines so hohen Ansehens, daß er vom Papst Innozenz IV. im Jahre 1253 durch einen Gesandten zum Könige von Halitsch und Wladimir (das heutige österreichische Ost-Galizien) als Herrscher des gesamten Ruthenenreiches


  1. Der russischen und polnischen Nomenklatur nach werden die obenerwähnten Flüsse auch in Westeuropa irrtümlich Dnjepr und Dnjestr genannt.
Empfohlene Zitierweise:
Eugen Lewicky: Die Ukraine der Lebensnerv Rußlands (= Ernst Jäckh (Hg.): Der Deutsche Krieg, 33). Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart u. Berlin 1915, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lewicky_Die_Ukraine_1915.pdf/6&oldid=- (Version vom 24.2.2022)