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zahlreiche Feinde beschützen und die staatliche Unabhängigkeit wiedererlangen sollte – das Kosakentum. Diese militärisch-republikanische Organisation mit dem gewählten Hetman an der Spitze – in gewissem Sinne war sie dem mittelalterlichen Ritterorden nachgebildet[1] – kämpfte mit beispielloser Zähigkeit und Heldenmut volle zweieinhalb Jahrhunderte um die staatliche Unabhängigkeit der Ukraine – allein alle Heldentaten und Bemühungen waren nicht imstande, den Drang der Polen und Litauer vom Westen, der Moskowiter vom Norden und der Tataren und Türken vom Süden aufzuhalten. Der Kampf um den Zugang zur Ostsee und zum Schwarzen Meere mußte unter diesen Völkerschaften um jeden Preis ausgefochten werden, und eben die ukrainischen Gebiete bildeten das Terrain, auf welchem dieses Ringen fast ununterbrochen volle drei Jahrhunderte andauerte. Es half dabei nichts, daß der geniale Kosakenhetman der Ukraine, Bohdan Chmelnytzkyj, in den Jahren 1648–1654 eine Reihe glänzender Siege über die Polen errang, ganz Polen niederwarf, ja sogar den damaligen polnischen König Kasimir gefangennahm; und es half auch nichts, daß der zweite höchst begabte Kosakenhetman Peter Doroschenko die polnischen und moskowitischen Heere aufs


  1. Diese Organisation ist daher mit dem Kosakenheere des jetzigen Rußlands, einer vielfach mißlungenen Nachbildung der ersteren, nicht zu verwechseln. Außer dem Namen haben beide Organisationen gar nichts Gemeinsames. Die russischen Kosaken, die auch im jetzigen Kriege eine so traurige Rolle spielen, wurden vom russischen Zaren als besondere privilegierte Kavallerieabteilungen gebildet und sind aus verschiedenen nationalen Elementen, hauptsächlich jedoch Großrussen, zusammengesetzt. Nur die Kubankosaken sind Nachkommen ukrainischer Kosaken, wurden aber in letzter Zeit mit Russen gemischt, da sie der russischen Regierung wegen ihrer nationalen ukrainischen Gesinnung und Traditionen „gefährlich“ vorkamen. Das ukrainische Kosakentum stand in Europa wegen seiner Tapferkeit und hohen militärischen Ausbildung seinerzeit in großem Ansehen, und es waren mächtige Staaten und Herrscher, die sich in manchen Bedrängnissen um seine militärische Hilfe bewarben (Rudolf II., Fürsten von Walachei und Siebenbürgen, Könige von Schweden, die venezianische Republik u. v. a.).
Empfohlene Zitierweise:
Eugen Lewicky: Die Ukraine der Lebensnerv Rußlands (= Ernst Jäckh (Hg.): Der Deutsche Krieg, 33). Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart u. Berlin 1915, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lewicky_Die_Ukraine_1915.pdf/9&oldid=- (Version vom 24.2.2022)