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Georg Christoph Lichtenberg: I. Allerlei Gedanken: Die Natur. In: Ausgewählte Schriften, S. 3–11

Ich möchte wohl wissen, ob man Beispiele von Taubgebornen hat, die sich vor dem Gewitter gefürchtet haben. Wenn mich mein Gefühl nicht täuscht, so glaube ich, ich würde mich ehemals wenig oder gar nicht vor einem Gewitter gefürchtet haben, das nicht gedonnert hätte.

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Herr Walker zu Bath hat nun seinen Untersuchungen über die gefrierenmachenden Materien einen hohen Grad von Vollkommenheit gegeben. Er ist schon jetzt im stande, das Quecksilber in jeder Jahreszeit und in jedem Klima leicht zum Gefrieren zu bringen, ohne die mindeste Beihilfe irgend eines Eises. Alles ist Salpetersäure, Salmiak, Glaubersalz und flammender Salpeter. Was für eine entzückende Aussicht für die Wollüstlinge Indiens, die keinen natürlichen Winter haben, sich nun für ihre Tafeln wenigstens einen künstlichen verschreiben zu können. Wir lächeln über den rohen Wilden oder bemitleiden ihn, der nicht im stande ist, sich Feuer anzumachen; so könnte wohl leicht ein Nabob von 1800 über den von 1790 lächeln, der noch nicht im stande war, sich Kälte anzumachen. Ja, wenn der Einbildungskraft, die doch auch die strengste Vernunft zum Rekognoszieren nötig hat, zu trauen ist, so könnten wohl Zeiten kommen, da man Städte und Dörfer so in Frost steckte, wie man sie bisher in Brand gesteckt hat.

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Ich zweifle, ob es gegen irgend ein Uebel in diesem Jammerthal mehr Hilfsmittel gibt, als gegen das Nichtsehenkönnen. Bliebe die Sonne aus, gut, so steckten wir Lichter an. Das ist eine Kleinigkeit. Verschließt der Star das Fenster, wiederum gut, so macht der Augenarzt den Laden wieder auf. Wird der Mensch Myops oder sieht er von dem Universo nichts als die Spitze seiner Nase, oder wird er Presbyt und sieht den Kirchturm deutlich, aber nicht seinen Nächsten, der vor ihm steht, so ist der ganze Handel mit zwölf Groschen abgethan, die man an den Glasschleifer bezahlt. Mit Hilfe dieser großen Tripelallianz von Lichterzieher, Augenarzt und Glasschleifer hat der Mensch bisher die absolute sowohl als relative Blindheit so kräftig bekämpft, defensive wenigstens, daß ihre Einrisse, die sie dennoch hie und da thut, kaum der Rede wert sind. Ja man hat sogar offensive agiert, und Hoffnung, dereinst noch den Splitter in des Bruders Auge im Monde zu sehen. Ist es nicht sonderbar mit diesem Sehen? Haben wir nicht schon eine Telegraphik mit dem Monde zu stande gebracht? so daß wir, genau berechnet, immer nach anderthalb

Empfohlene Zitierweise:
Georg Christoph Lichtenberg: I. Allerlei Gedanken: Die Natur. In: Ausgewählte Schriften, S. 3–11. Cotta, Stuttgart 1893, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lichtenberg_Die_Natur.pdf/2&oldid=- (Version vom 29.8.2023)