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Georg Christoph Lichtenberg: I. Allerlei Gedanken: Die Natur. In: Ausgewählte Schriften, S. 3–11

wir wirken, nicht wenn wir für die Wirkung sammeln. Was wir dann empfinden, ist vielleicht bloß Empfinden des Wohlbefindens. Es wird nicht zu Gedanken, es ist bloß Gefühl von Stärke oder doch Gemächlichkeit.

Unsre ganze Geschichte ist bloß Geschichte des wachenden Menschen; an die Geschichte des schlafenden hat noch niemand gedacht. Die Gedankenwerkzeuge scheinen am leichtesten zu ermüden zu sein; es sind die feinsten Spitzen. Daher denkt der Mensch im gesunden Schlaf gar nicht. Ich wiederhole es noch einmal: Gebrauch und Ersatz scheinen einander in den feinsten Spitzen entgegenzuwirken; wo Ersatz der Nerven bereitet wird, findet keine Empfindung statt. Diejenigen Teile, die mehr nach innen liegen, sind bloß zur Erhaltung, nicht zum Empfangen und zur Gegenwirkung. So ließe sich die Notwendigkeit eines Schlafes a priori demonstrieren. Feine Teile, die durch gröbere ersetzt werden müssen, können ihren Dienst nicht leisten, während sie in Ausbesserung begriffen sind.

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Es ist eine sehr weisliche Einrichtung in unsrer Natur, daß wir so viele äußerst gefährliche Krankheiten gar nicht fühlen. Könnte man den Schlagfluß von seiner ersten Wurzel an verspüren, er würde mit unter die chronischen Krankheiten gerechnet werden.

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Es ist doch sonderbar, daß wir so viele Mittel kennen, eine Krankheit zu befördern, und so wenige, sie zu heilen.

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Das Alter ist die tödlichste aller Krankheiten, denn man hat noch kein Beispiel, daß jemand, der davon befallen wurde, durchgekommen wäre; und doch kann man mit Grund dabei ausrufen: Schade, daß sie so wenige Menschen bekommen!

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Die Leichenöffnungen können diejenigen Fehler nicht entdecken, die mit dem Tode aufhören.

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Es ist noch eine große Frage, durch welche Erfindung mehr Menschen gefallen sind, durch die Guillotine oder durch die beliebten Pülverchen des Herrn Doktor Ailhaud.

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Empfohlene Zitierweise:
Georg Christoph Lichtenberg: I. Allerlei Gedanken: Die Natur. In: Ausgewählte Schriften, S. 3–11. Cotta, Stuttgart 1893, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lichtenberg_Die_Natur.pdf/5&oldid=- (Version vom 29.8.2023)